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Die höchste Form des Mitgefühls ist die Theory of Mind

Mitgefühl ist eine im Lauf der Evolution des Menschen entstandene mehrschichtige Fähigkeit. Manfred Spitzer erläutert: „Sie ist klar zu unterscheiden von der automatisch ablaufenden und auch im Tierreich zu beobachtenden sozialen und emotionalen Ansteckung: Ein Vogel schreit aufgeregt, und der ganze Vogelschwarm hebt ab. Ein Mensch sieht, dass jemand Schmerzen hat, und verspürt daraufhin selbst ein ganz unangenehmes Gefühl.“ Dieses Phänomen wird als Sympathie bezeichnet. Sympathie bedeutet wörtlich genommen „mit-leiden“, das Wort hat allerdings im Laufe der Zeit einen Bedeutungswandel vollzogen. Diese Form des Mit-Fühlens läuft automatisch ab und ist nicht auf den Menschen beschränkt, sondern beispielsweise auch bei Mäusen und Ratten eindeutig nachweisbar. Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen.

Menschen weisen verschieden Ausprägungen des Mitleidens auf

Bereits Charles Darwin wies darauf hin, dass „viele Tiere ganz gewiss mit der Bedrängnis und Gefahr ihresgleichen mitfühlen“. Wenn im Kino Zuschauer sich bei brutalen Szenen die Hände vors Gesicht halten, dann möchten sie verhindern, dass sie die auf der Leinwand gezeigten Qualen selbst fühlen. Denn dies geschieht automatisch – mehr oder weniger intensiv. Menschen sind unterschiedlich sensibel und weisen verschiedene Ausprägungen des Mitleidens auf. In der wissenschaftlichen Literatur spricht man hinsichtlich dieser Form des Mitgefühls auch von „emotionaler Empathie“.

Manfred Spitzer erklärt: „Empathie hat heute meist eine andere Bedeutung. Empathisch sind wir, wenn wir um einen Menschen angesichts der besonderen Umstände, in denen er sich befindet, besorgt sind. Es ist eine Form der aktiven Zuwendung, die bewusst erfolgt, und nicht eine „Ansteckung“ mit dem gleichen Gefühl eines anderen Menschen.“ Man sorgt sich um einen leidenden Mitmenschen, und das eigene Handeln ist geleitet vom Wunsch nach Abhilfe seiner Qualen.

Auch Menschenaffen spenden häufig Trost

Dies setzt erstens voraus, dass die Umstände als solche erkannt und bewertet werden können, und zweitens, dass die eigenen Emotionen von denen eines anderen unterschieden werden können. Beides sind – verglichen mit einfachem Mitgefühl – höhere geistige Leistungen; man spricht deshalb auch von kognitiver Empathie. Diese Form des Mitgefühls äußert sich zum Beispiel im Spenden von Trost und Umarmen oder Streicheln eines Artgenossen, der gerade im Kampf unterlegen war bzw. verletzt wurde.

Dachte man früher, dass nur Menschen zu derart komplexen Affekten fähig seien, so ist heute nachgewiesen, dass auch Menschenaffen häufig Trost spenden. Eine noch komplexere Form der Empathie ist die Fähigkeit, sich in einen anderen hineinzuversetzen, seine Perspektive einzunehmen und ihm daraufhin zielgerichtet zu helfen. Manfred Spitzer weiß: „In der Psychologie spricht man von der Fähigkeit zur „Theory of Mind“ und bezeichnet damit das Vermögen, gewissermaßen „in die Haut“ eines anderen zu schlüpfen, um die Welt mit „dessen Augen“ zu sehen.“ Quelle: „Einsamkeit“ von Manfred Spitzer

Von Hans Klumbies

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