Die frühe Kindheit entscheidet über das spätere Leben
Idealerweise wird durch die Liebe zwischen Mutter und Kind der Urgrund der Liebesfähigkeit des Nachwuchses geschaffen. Andreas Salcher fügt hinzu: „Jene fundamentale Erfahrung intimer Verbundenheit entsteht durch die körperliche, emotionale und psychische Nähe. Sie weckt die Sehnsucht, später eine ähnliche intime und vertrauensvolle Beziehung zu einem Liebespartner zu finden.“ Ein Kleinkind entwickelt in den ersten drei Jahren ein Grundgefühl, welchen Situationen und Menschen es vertrauen kann und welchen nicht. Entscheidend für die Bildung jenes Urvertrauens sind die unmittelbaren Bezugspersonen, also die Eltern, primär die Mutter nach der Geburt. Die bei der Wahrnehmung der Umwelt gewonnenen positiven Erfahrungen statten ein Kind mit hohem Grundvertrauen darin aus, dass es die Welt gut mit ihm meint und es angenommen und geliebt wird. Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Bestseller-Autor und kritischer Vordenker in Bildungsthemen.
Eltern können alles richtig machen
Im Gegensatz dazu sieht das verängstigte Kind die Welt nicht als Paradies, weil es schon früh von Menschen enttäuscht, verlassen oder betrogen wurde. Es fühlt sich von seinen Eltern nicht zu hundert Prozent angenommen und verspürt daher den Drang, sich besonders anzustrengen und zu beweisen. Die gute Botschaft für alle Eltern lautet: Sie können alles richtig machen. Wenn sie ihr Baby in Händen halten, brauchen sie keine Sekunde darüber nachdenken, wie sie es perfektionieren können. Das ist nicht ihre Aufgabe.
Die Aufgabe ist zu sagen: „Wir werden dir alle Zeit, Zuneigung und Zärtlichkeit geben, die du brauchst, weil du es uns wert bist.“ Man erinnert sich als Erwachsener kaum an seine frühe Kindheit, obwohl diese so entscheidend für das aktuelle Leben ist. Dabei haben Kleinkinder durchaus ein funktionierendes Gedächtnis. Sie sind imstande, sich an ihren letzten Geburtstag oder den Zoobesuch zu erinnern. Selbst Fünf- bis Siebenjährige können sich noch zu mehr als 60 Prozent an ihre früheren Erlebnisse erinnern.
Das Leben des Kindes beginnt schon in der Schwangerschaft
Ab dann beginnen Erinnerungen allerdings immer mehr zu verblassen. Warum ist das so? Die Psychologinnen Patricia J. Bauer und Marina Larkina von der Emory-Universität gehen in ihrer Untersuchung davon aus, dass das Langzeitgedächtnis in ganz jungen Jahren noch nicht so gut entwickelt ist. Wie gut Kinder sich frühe Erfahrungen einprägen können, hängt offenbar auch mit ihrer Sprachfähigkeit zusammen. Je besser sie Begriffe schon beschreiben können, desto eher können sie im Langzeitgedächtnis verankert werden.
Eltern, die ihre Kinder immer wieder ermutigen, von ihren Erlebnissen zu erzählen, unterstützen diesen Festigungsprozess. In China und Korea gelten Kinder als ein Jahr alt, wenn sie auf die Welt kommen. Ihre erste Stunde beginnt also schon in der Schwangerschaft. Viele westliche Wissenschaftler teilen mittlerweile diese traditionelle Sichtweise. Fest steht: Wird ein Kind geboren, hat sein Gehirn eine beträchtlichen Teil seiner Ausbildung bereits hinter sich. So entstehen während der Schwangerschaft bis zu 250.000 Hirnzellen – pro Minute. Im letzten Drittel der Schwangerschaft bilden sich pro Minute bis zu 40.000 der für das Denken, Handeln und Erinnern so wichtigen Synapsen im Gehirn. Quelle: „Das ganze Leben in einem Tag“ von Andreas Salcher
Von Hans Klumbies