Die Macht des Patriarchats ist groß
Eva Illouz stellt fest: „Die Existenz negativer Gefühle von Frauen beim Gelegenheitssex wurde oft zu einem Indiz für die immer noch mächtige Kultur der sexuellen Scham.“ Und sie erklären die Last der Doppelmoral, die insbesondere Frauen zu spüren bekommen, wohingegen Männer sich solchen sexuellen Abenteuern ohne symbolische Bestrafung hingeben können. Der Hauptverdienst dieser Interpretation besteht in der Erinnerung daran, dass die Macht des Patriarchats nach wie vor eine große Rolle spielt. Frauen und Männer unterliegen hier unterschiedlichen sexuellen Normen. Männer genießen dabei größere sexuelle Freiheiten, während die weibliche Sexualität von normativen und sexistischen Zwängen beengt ist. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Außerdem ist sie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.
Die männliche Sexualität gilt als distanziert
Der Gelegenheitssex folgt einem maskulinistischen Verständnis von Sexualität. Die Behauptung, dass nur distanzierter Sex befreiter Sex ist, billigt stillschweigend die Äquivalenz von männlicher und freier Sexualität, gilt die männliche Sexualität doch per se als distanziert. Die „eingebettete Sexualität“ dagegen spiegelt eher die weibliche Position im sexuellen Feld wider, weil Frauen traditionell ihr Selbst umfassender in die Sexualität einbezogen haben. Sie tauschen zum Beispiel Sex gegen etwas Bedeutsameres wie wirtschaftliche Ressourcen und gesellschaftlichen Status.
Frauen und Männer nehmen auch in der sozialen Produktion von Fürsorge ganz unterschiedliche Positionen ein. Weil die männliche Identität nicht auf Gebären und Fürsorge ausgerichtet ist und weil die gesellschaftliche Organisation des Patriarchats Männer eher zum Gegenstand weiblicher Fürsorge als zu Anbietern von Fürsorge macht. Weil Ehe und Mutterschaft für viele Frauen zentrale Dimensionen ihrer Identität und ihres sozioökonomischen Status darstellen, ist die Sexualität von Frauen sehr viel wahrscheinlicher beziehungsorientiert als die von Männern.
Gefühle erscheinen als unbeständig und ungewiss
Eva Illouz betont: „Für Frauen sind Fürsorge und Relationalität gleichzeitig eine gesellschaftliche Rolle, eine wirtschaftliche Position und eine emotional-kulturelle Identität.“ Insofern bleibt die Relationalität oder Beziehungsorientierung zentral für die weibliche Sexualität, weil sie die Tatsache widerspiegelt, dass Frauen nach wie vor den Löwenanteil an der Ökonomie und gesellschaftlichen Produktion der Fürsorge übernehmen. Aus diesem Grund erleben Männer und Frauen Gelegenheitssex wahrscheinlich aus unterschiedlichen Positionen.
Wobei eine solche Form von Sexualität für Frauen tendenziell im Widerspruch zur Kultivierung von Beziehungen und Gefühlen steht. Manche Frauen betrachten Gelegenheitssex jedoch als ein Terrain, auf dem es leichter fällt, Männer kennenzulernen, wohingegen Gefühle als unbeständig und ungewiss erscheinen, zudem für Erwartungen und Enttäuschungen sorgen. Gefühle, nicht die Sexualität, lösen nun Ängste aus, weil sie vermeintlich den Autonomieanspruch – vor allem den der Männer – bedrohen. Quelle: „Warum Liebe endet“ von Eva Illouz
Von Hans Klumbies