Das Gehirn bleibt zeitlebens lernfähig
Kein anderes Lebewesen verändert seinen eigenen Lebensraum und seine eigenen Lebensbedingungen do grundlegend, so nachhaltig und auch inzwischen so rasch wie der Mensch. Gerald Hüther fügt hinzu: „Unsere Spezies ist daher die einzige, die nur überleben kann, indem sich ihre Mitglieder selbst ständig weiterentwickeln.“ Und Menschen können sich nicht als Einzelkämpfer weiterentwickeln. Also die in ihnen angelegten Potenziale entfalten und nicht nur ständig neue Technologien und Überlebensstrategien erfinden. Das gelingt nur gemeinsam. Wenn die Menschheit also auf diesem Planeten überleben will, muss sie lernen, das Zusammenleben konstruktiver als bisher zu gestalten. Die Devise muss lauten: miteinander statt gegeneinander, verbindend statt trennend, achtsam statt rücksichtslos. Gerald Hüther weiß: „Dass unser Gehirn nicht durch genetische Anlagen programmiert wird, sondern zeitlebens umbaufähig, also lernfähig bleibt, ist eine atemberaubende Erkenntnis.“ Gerald Hüther ist Neurobiologe und Verfasser zahlreicher Sachbücher und Fachpublikationen.
Jeder muss seine Bestimmung selbst herausfinden
Die wichtigste Schlussfolgerung aus der Erkenntnis der lebenslangen Plastizität des menschlichen Hirns lautet doch zwangsläufig: Es gibt beim Menschen keine biologischen Anlagen mehr, die ihn zu dem machen, was er sein könnte. Gerald Hüther betont: „Wir müssen selbst herausfinden, worauf es im Leben ankommt und wie es gelingen kann, glücklich und gesund zu bleiben.“ Und danach sind alle Menschen auf der Suche, überall auf der Welt.
Für die meisten Menschen beginnt diese Suche allerdings nicht in ihrem Inneren, bei sich selbst, sondern draußen, bei den anderen. Sie wollen gesehen und beachtet werden und versuchen deshalb, ihr Leben so zu gestalten, dass sie möglichst viel von dem erreichen, was sie in den Augen all jener, die ähnlich unterwegs sind, bedeutsam macht. Dazu zählen Einfluss, Macht und Reichtum, ebenso wie Statussymbole, Stellungen oder Positionen durch die sie sich als wertvoll erleben.
Menschen sollen sich gegenseitig als Subjekte respektieren
Solange sie sich so sehr darum bemühen und dabei einigermaßen vorankommen, verstärken und verfestigen sich die dafür und dabei in ihren Gehirnen aktivierten neuronalen Verschaltungsmuster. So bekommen sie ein Hirn, mit dem sie immer besser in der Lage sind, ihre eigenen Positionen zu stärken und sich auf Kosten anderer durchzusetzen. Am erfolgreichsten beschreiten diesen Weg all jene, die schon sehr früh und besonders nachhaltig gelernt haben, andere möglichst geschickt zu Objekten ihrer jeweiligen Ziele und Erwartungen, ihrer Belehrungen und Bewertungen, ihrer Maßnahmen und Anordnungen zu machen.
Gerald Hüther warnt: „So kann man leben, aber sich als Persönlichkeit weiterentwickeln, seine Würde bewahren, achtsam sein, dauerhaft glücklich und gesund oder gar ein liebevoller Mensch werden, kann man weder, indem man andere in dieser Weise benutzt, noch sich selbst von anderen für die Durchsetzung von deren Interessen benutzen lässt.“ Um das Zusammenleben so zu gestalten, dass es einem selbst und anderen guttut, bedarf es nur einer winzig kleinen Veränderung. Menschen dürfen sich nicht länger gegenseitig zu Objekten machen. Stattdessen könnten sie versuchen, einander als Subjekte zu begegnen. Quelle: „Lieblosigkeit macht krank“ von Gerald Hüther