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Liebe und Rationalität prägen Beziehungen

Tinder verspricht eher einen One-Night-Stand als eine eigentliche Partnerschaft. Daher scheint die Dating-App sehr nahe am Realismus des flüchtigen Begehrens zu sein. Peter Trawny kritisiert: „Apps wie Parship oder, schlimmer noch, Eliteparter werben mit festen Bindungen.“ Eva Illouz spricht bei alledem von „Technologien der Wahl“. Sie weist zutreffend darauf hin, dass es falsch ist anzunehmen, eine auf „Liebe beruhende Partnerwahl“ bringe „einen Rückgang rationaler Kriterien in der Partnerwahl“ mit sich. Für Eva Illouz strukturieren zusammenwirkend Liebe und Rationalität moderne Beziehungen. Peter Trawny ist sich sicher, dass die Soziologin recht hat. Auch viel früher schon haben rationale Kriterien in der Partnerwahl eine Rolle gespielt. Peter Trawny gründete 2012 das Martin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, das er seitdem leitet.

Bei der Partnerwahl spielen emotionale Eigenschaften eine große Rolle

Dabei geht Eva Illouz bis in die Renaissance zurück, um dann festzustellen, dass diese „vormodernen Subjekte“ nur „wenige Informationen“ einholten, um ihre Entschlüsse zu fassen. Die „Anforderungen ans Äußere“ seien „oft minimal“ gewesen. Heute hat sich das laut Eva Illouz entscheidend geändert. Die rationalen Kriterien der zeitgemäßen Partnerwahl „beziehen sich nicht nur auf soziale und bildungsmäßige, sondern auch auf physische, sexuelle und – vielleicht vor allem – emotionale Eigenschaften.

Eine hochgradig erkenntnisförmige, rationale Methode der Partnerwahl gehe „Hand in Hand mit der kulturellen Erwartung, dass die Liebe authentische, unvermittelte emotionale und sexuelle Erfahrungen“ biete. Eine solche „hyperkognitive Methode“ der Partnersuche böten heute die „Online-Datings“. Die Rationalisierung der Partnerwahl, die Eva Illouz beschreibt, könnte auch Konsequenzen für die früheren Weisen der Begegnungen und des Kennenlernens haben. Peter Trawny erklärt: „Vor der Verbreitung der Sozialen Medien gab es eine ganze Kultur des Kennenlernens, von Blicken oder absichtlichen Nichtblicken, dem Lächeln, dem Flirt und der Verführung.“

Das Emoji ist das Pendant zu Tinder

Abgesehen davon, dass heute diese Kultur oft schlechthin als eine Ausgeburt des Patriarchats gedeutet wird, haben die neuen Kommunikationstechnologien auch dafür eine Lösung gefunden: das Emoji. Peter Trawny nennt Beispiele: „Mit Smileys, die Herzchen als Augen haben, mit Herzchen selbst oder mit einem Kussmund kann auf schnelle und einfache Weise Zuneigung zum Ausdruck gebracht werden.“ Der Vorteil dabei ist noch der, dass all das unter Ausschluss der Öffentlichkeit und übrigens dauernd geschieht.

Niemand sieht, welches Emoji man einer anderen Person sendet. Dass die Zusendung dieser Zeichen inflationär wird, ein, zwei oder drei Herzchen nicht viel zu bedeuten haben, liegt auf der Hand. Ganz zu schweigen von der Infantilisierung, die mit dieser Kommunikation einhergeht. Genau betrachtet ist das Emoji das Pendant zu Tinder. Liebe oder das, was man so nennt, wird gleichsam auf ein Piktogramm reduziert. Entweder man erkennt in kürzester Zeit, was einem der Andere bedeuten kann, oder man wischt auf seinem Handy weiter und begibt sich auf die Suche nach einem neuen Date. Quelle: „Philosophie der Liebe“ von Peter Trawny

Von Hans Klumbies

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