Negative Bindungen sind meist regellos
„Negative Bindungen“ sind negativ in den folgenden zwei Bedeutungen. Sie verweisen auf ein abwesendes Objekt, das man aufgrund der Unbestimmtheit der Situation nicht zu fassen bekommt. Oder sie bringen zum Vorschein, dass mit einer bestehenden Beziehung etwas nicht stimmt, dass sie nicht so funktioniert, wie sie funktionieren sollte. Eva Illouz erklärt: „Negative Beziehungen haben verschwommene, unklare, unbestimmte oder umstrittene Zwecke. Es gibt keine vorgeschriebenen Regeln für Verbindlichkeit und Unverbindlichkeit. Und sie können straflos oder fast straflos kaputtgemacht werden.“ Negative Bindungen der ersten Form lösen sich schnell auf, nicht weil sie vertraglich als vorübergehend definiert wären, sondern aufgrund ihrer relativen Normlosigkeit, ihres Mangels an vorgeschriebenen Regeln und an einem gemeinsamen Bedeutungsrahmen. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Außerdem ist sie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.
Liebe und Sexualität haben sich enorm verändert
Negative Bindungen der zweiten Form können länger andauern, stehen aber aufgrund ihrer Dysfunktionalität permanent zur Disposition. Es sollte deutlich sein, dass „positiv“ und „negativ“ hier keine moralischen Bedeutungen haben. Diese Ausdrücke beziehen sich allein darauf, wie soziale Bindungen geschaffen werden, ob durch klar formulierte kulturelle Skripte oder ob auf relativ skriptlose und normativ verschwommene Weise. Eine negative soziale Beziehung ist von Ungewissheit getrieben, während eine positive Beziehung relativ strukturiert und an klare Normen ausgerichtet ist.
Eva Illouz möchte folgende Hypothese wagen: „Im Bereich von Liebe und Sexualität hat eine gewaltige Umstellung stattgefunden.“ Früher gab es einen Modus des kulturellen Handelns, in dem die Kultur die Welt dicht in Symbolen und moralischen Erzählungen beschrieb. Heutzutage herrscht ein kultureller Modus vor, in dem Autonomie und Freiheit relativ schwach vorgeschriebene, verschwommene Interaktionsregeln mit unvorhersehbaren Ergebnissen, zumindest in der Privat- und Intimsphäre, hervorbringen.
Das moderne Selbst zeichnet sich durch Autonomie aus
Mit Normlosigkeit meint Eva Illouz nicht nur ein improvisiertes Verhalten, dessen Regeln sich jeder selbst zusammenreimen muss. Sondern sie bezieht sich dabei auch auf die weniger spielerische Dimension, dass die Normen, die das Verhalten in sexuellen Bindungen anleiten, unklar geworden sind. Denn sie folgen keinem moralischen Drehbuch mehr und es droht kaum eine gesellschaftliche Sanktion, wenn man Regeln der Reziprozität bricht. Normlose Interaktionen grenzen unangemessenes Verhalten nicht scharf von angemessenem ab, weil ersteres so gut wie nie bestraft wird.
Eva Illouz stellt fest: „Diese Abwesenheit einer dichten Normativität verdankt sich der Praxis der Freiheit selbst und geht mit positiven Geboten wie Eigenständigkeit, Autonomie und Hedonismus einher, allesamt tonangebende Vokabulare des modernen Selbst.“ Diese positiven Gebote erzeuge negative Bindungen, Bindungen, die normativ unscharf und chaotisch sind. Diese verfügen über vielfältige Definitionen und Zwecke und stellen den Ort dar, an dem an seine Autonomie dadurch zum Ausdruck bringen kann, dass man sich zurückzieht. Quelle: „Warum Liebe endet“ von Eva Illouz
Von Hans Klumbies