Allgemein 

Man braucht nicht den Partner zum Glück

Statt beim Sport Dampf abzulassen oder mal übers Wochenende zu verreisen, saßen während der Lockdowns Paare sich auf der Pelle und sahen dabei zu, wie die auferlegte Freiheitsberaubung der Beziehung den Rest gab. Violetta Simon weiß: „Dass sich nach so langer Zeit des Erduldens das Ego zurückmeldet, ist eine Erkenntnis, die nicht zwingend eine Pandemie braucht. Mitunter genügen auch zehn, 20 Jahre Ehe, um sich zu fragen: Soll das alles gewesen sein?“ „In solchen Phasen ist es wichtig, sich auf die eigenen Bedürfnisse und Interessen zu konzentrieren“, sagt Judith Gastner, wissenschaftliche Leiterin der digitalen Coaching-Plattform „PaarBalance“. So werde die persönliche Kontur klarer: Wer bin ich, was macht mich aus? „Oft hilft es schon, sich einen Rückzugsort zu schaffen, wie zum Beispiel ein eigenes Arbeitszimmer.“

Man kann erfüllende Dinge auch ohne den Partner tun

Im Gegensatz zu jungen Paaren, die sich ohnehin mehr Raum lassen, erkennen solche, die schon lange zusammen sind, ihre Bedürfnisse oft erst wieder, wenn sie sich neu ordnen. Auch wenn einem die sozialen Medien etwas anderes weismachen wollen: Es ist nicht zwingend notwendig, am Ende einer Beziehungsdebatte gemeinsam mit dem VW-Bus in den Sonnenuntergang zu fahren. Eine Option wäre zum Beispiel, alleine zu verreisen. Ohne Groll. Einfach weil es einem wichtig ist.

„Wir gehen oft davon aus, dass der Partner dafür zuständig ist, uns glücklich zu machen“, sagt Diplom-Psychologin Judith Gastner. „Aber man darf, man sollte Dinge, die einem Spaß machen, auch ohne den Partner tun.“ Die Pflicht zum Kompromiss hat Grenzen. Etwa, wenn der neue Job einen längeren Auslandsaufenthalt verlangt. Oder der Verzicht darauf den anderen ausbremsen würde. „Wichtig ist nur, sich ehrlich zu fragen: Wenn ich meinem Partner zuliebe verzichte, besteht dann die Gefahr, dass ich ihm die Schuld gebe, mein Leben nicht gelebt zu haben?“

Die meisten Menschen sehnen sich nach Nähe

Die englische Paarberaterin Lucy Cavendish erzählt im „Guardian“ von Paaren, die ihr Leben für eine bestimmte Zeit verändern, um neue Erfahrungen zu machen. Sie vergleicht diese Phase mit einem „Gap Year für Studenten, nur eben in einem reiferen Alter“. Genau das ist das Problem: Für Paare, die schon länger in konventionellen Strukturen zusammenleben, klingt die Idee, eigene Wege zu gehen, nach etwas, was nur junge Leute tun. Sie sind oft noch sozialisiert mit der Idee, dass in einer Beziehung Kompromisse gelten und sich beide stets auf einen gemeinsamen Nenner einigen müssen.

„Menschen sind Bindungswesen, die meisten sehnen sich nach Nähe“, sagt die Münchner Paartherapeutin Judith Gastner. „Diese Ausschließlichkeit scheint gefährdet, wen einer in die Ferne rückt.“ Violette Simon fügt hinzu: „Den ersten Schritt zu machen, fällt oft nicht leicht: Viele scheitern bereits daran, dem schnarchenden Partner zu gestehen, dass sie sich nach getrennten Betten sehnen.“ Selbst wenn beide wissen, dass sie alleine besser schlafen: Loyalität wird gern an der Leidensfähigkeit gemessen. Quelle: „Sich trennen, um ein Paar zu bleiben“ von Violette Simon in der Süddeutschen Zeitung vom 24./25 September 2022

Von Hans Klumbies

Related posts

Leave a Comment