Gewaltakte führen zu Traumatisierungen
Die unverhohlenste Form einer Traumatisierung sind auf den Körper eines Opfers massiv einwirkende oder in ihn eindringende Gewalthandlungen. Joachim Bauer erläutert: „Im Moment des Gewaltakts erkennt das Selbst des Opfers seine Machtlosigkeit und gibt auf.“ Wenn Überwältigungen längere Zeit anhalten, kann es vorkommen, dass die Opfer mit den Tätern ein Bündnis eingehen, ein als Stockholm-Syndrom bezeichneter Vorgang, der zunächst paradox erscheint. Die Erklärung für dieses Syndrom ist, dass die Täter mit kriminellen Teilen ihres Selbst-Systems, welche das Kommando über die Ausführung der Tat haben, in das Selbst-System des Opfers eindringen und dieses kapern. Die für diese vermeintliche Verrücktheit verantwortliche Grundlage ist die neuronale Ich-Du-Koppelung im Frontalhirn. Das Du kann also nicht nur die Macht im eigenen Haus übernehmen, wenn es vom Ich – wie bei der Verliebtheit – dazu eingeladen wird. Prof. Dr. Med. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt.
Eine gewaltsame Kaperung beseitigt das Selbst des Opfers
Das Du kann sich des Selbst einer anderen Person auch durch rohe Gewalt bemächtigen. Joachim Bauer erklärt: „Wenn diese Bemächtigung einvernehmlich stattfindet, bleibt das Selbst des „Opfers“ in Funktion, weshalb wir hier nicht von einem Trauma sprechen – im Gegensatz zur gewaltsamen Kaperung, die das Selbst des Opfers beseitigt oder „umdreht“, also in den Dienst des Täters stellt.“ Lange Zeit unverstanden war, warum Opfer von Vergewaltigungen nach der Tat, oft über einen sehr langen Zeitraum, immer wieder plötzlich von Suizidimpulsen erfasst werden.
Die Erklärung ist, dass der Täter im Moment der Tat das kriminell handelnde Teilstück seines Selbst in das Opfer implantiert hat. Dieses Implantat lebt im Opfer weiter, es behält seine kriminelle, auf die Vernichtung des Opfers gerichtete Energie. Das Introjekt produziert nun die immer wieder auftretenden Suizidimpulse, die sich für das Opfer aber so anfühlen, als wären es seine eigenen! Um derartige bösartige Introjekte zu identifizieren und – wie ein Minenräumdienst – unschädlich zu machen, bedarf es psychotherapeutischer Hilfe.
Traumaopfer erleiden auch neuronale Schäden
Joachim Bauer weiß: „Bleibt eine solche Hilfestellung aus, dann erleiden Traumaopfer nicht nur psychische, sondern auch neuronale Schäden.“ Traumatisierte Menschen zeigen eine deutliche Volumenverminderung in der „unteren Etage“ des Stirnhirns, wo das Selbst seinen Sitz hat. Die anhaltende, hochgiftige Wirkung von Introjekten, die durch kriminelle Ereignisse verursacht wurden, zeigt sich auch bei Menschen, die als Kinder oder Jugendliche Opfer von sexuellem Missbrauch werden.
Die Täter ziehen, wenn sie nicht offen gewalttägig vorgehen, das Kind in ein Geschehen hinein, das darauf zielt, das junge Opfer zu einem Bündnispartner des Täters zu machen. Der objektiv traumatische Charakter der Tat ergibt sich daraus, dass sie vom Täter initiieren sexuellen Handlungen aus Sicht des kindlichen Selbst aversiv erlebt werden, vor allem aber völlig unverständlich sind, weshalb das Geschehen vom kindlichen Selbst nicht integriert werden kann. Dessen ungeachtet versuchen die Täter nun aber, dem Opfer ihre Interpretation des Geschehens aufzuoktroyieren. Quelle: „Wie wir werden, wer wir sind“ von Joachim Bauer
Von Hans Klumbies