Meinungen und Fakten unterscheiden sich
Dialogbereitschaft ist prinzipiell zu befürworten und eine gute Sache, allerdings nur, wenn sie auf beiden Seiten vorhanden ist. Heidi Kastner erläutert: „Alles andere benennt man besser als das, was es ist. Nämlich als eine zweckbefreite und absehbar ergebnislose Kombination zweier Monologe.“ Dadurch spart man sich Mühe, Ärger und Zeit mit Menschen, die das Recht auf eine eigene Meinung mit dem Recht auf eigene Fakten verwechseln oder zwischen den beiden Begriffen nicht unterscheiden können oder wollen. Gemeinsames Merkmal sind die larmoyante Empörung über gelegentliche abwertende Kommentare anderer, die Berufung auf die eigene zwangsläufig bessere Urteilsfähigkeit und das gänzliche Fehlen der Fähigkeit, sich selbst auch gelegentlich infrage zu stellen. Heidi Kastner ist Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie. Seit 2005 ist sie Chefärztin der forensischen Abteilung der Landesnervenklink Linz.
Autonomie ist mit Rechten und Plichten verbunden
Die fundamentale Dummheit besteht allerdings in der Verweigerung eines Lebens in begrenzter, geordneter Freiheit, das als Grundkonzept aller demokratischen Gesellschaftsstrukturen verstanden werden muss. Heidi Kastner betont: „Unbegrenzte Freiheit wäre erstmal Anarchie und dann ziemlich schnell viel Unfreiheit für ziemlich viele, all diejenigen nämlich, die nicht über ausreichend psychisches Durchsetzungsvermögen verfügen, um den freien Handlungen anderer ihre eigenen Freiheitsvorstellungen entgegenzusetzen.“
Eine freiheitliche Gesellschaft kann nur dann funktionieren, wenn ihre Werte und Regeln von der Mehrzahl der Mitglieder verinnerlicht, als intrinsisches Gut anerkannt und daher auch hochgehalten werden. Jeder in einer Gesellschaftsorganisation lebende Mensch bezahlt für seine Freiheit mit dem Verzicht auf Teile ebendieser Freiheit. Wer an dieser Grunderkenntnis vorbeiargumentiert und -fordert, hat einiges nicht durchdacht, nicht verstanden oder verstehen wollen. Überdies wird von vielen Menschen übersehen, dass Autonomie nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten mit sich bringt und keine verantwortungsfreie Selbstverständlichkeit ist.
Verschwörungsmythen und Rechtspopulismus haben Gemeinsamkeiten
Niemand kann nach Lust und Laune auf Kosten seiner Mitmenschen leben. Heidi Kastner stellt fest: „Im Wesentlichen ist das hohle Gerede von Autonomie ein Wunsch nach uneingeschränkter Selbstermächtigung, die sich im sozialen Miteinander immer als unverträglich und unerträglich erwiesen hat und daher weder Respekt noch Toleranz verdient hat.“ Und es ist eine Form von Dummheit, das einmal mehr das Schädigungspotenzial dieser geistigen Verfassung offenbart.
Die Corona-Pandemie war ein Booster für ein schon vorhandenes, etwas systematisierteres Verschwörungsnarrativ, das unter der Bezeichnung QAnon seit 2017 durch das weltweite Netz geistert. Bis dato ist nicht klar, wer hinter diesen Mythen und Prophezeiungen des Weltuntergangs steckt. Michael Butter, Amerikanistik-Professor an der Universität Tübingen, der sich seit Jahren mit Verschwörungstheorien beschäftigt ist nicht der Einzige, der eine Verbindung zwischen Verschwörungsmythen und Rechtspopulismus erkennt: „Beide lösen komplexe politische Themen in einen Gegensatz von Gut und Böse auf. Auf der einen Seite die Verschwörer beziehungsweise die Eliten, auf der anderen Seite die Opfer der Verschwörung oder das einfache Volk“, sagte er im ARD-Magazin „Monitor“ im April 2020. Quelle: „Dummheit“ von Heidi Kastner
Von Hans Klumbies