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Eine Sucht hat viele Ursachen

Reinhard Haller weiß: „Sucht hat viele Ursachen. Missbrauch und Abhängigkeit sind immer komplexe Störungsbilder, jede eindimensionale Erklärung ist tatsächlich einfältig. Genetisch bedingte Veranlagung, Umwelteinflüsse, Milieuumstände, Erziehung, Entwicklungsfaktoren sowie lebensgeschichtliche Belastungen sind ebenso bedeutsam wie politisch-religiöse Verhältnisse, Modeströmungen, gesetzliche Regulationen und globale Entwicklungen.“ Mit dieser Aufzählung, die sich erheblicher Unvollständigkeit erfreut, sind nur einige allgemeingültige Ursachenkategorien genannt. Auf diesen aufbauend entsteht das individuelle Gefüge von Missbrauch und Abhängigkeit. Süchtigkeit bezieht sich ausdrücklich nicht nur auf psychotrope Substanzen, also auf Alkohol, Drogen und Beruhigungsmittel, sondern auch auf viele Formen menschlichen Verhaltens – auf Spielen und Kaufen, auf Arbeit und Sex, auf Streiten und Essen und auf vieles andere mehr. Prof. Dr. med. Reinhard Haller war als Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe über viele Jahre Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Heute führt er eine fachärztliche Praxis in Feldkirch (Österreich).

Der Zusammenhang von Sucht und Kränkung basiert auf drei Wegen

Man spricht dann von substanzungebundenen Abhängigkeiten oder Verhaltenssüchten. Reinhard Haller betont: „Die meisten Süchtigen leiden an nicht verarbeiteten, nicht überwundenen Kränkungen. Mithilfe von berauschenden Substanzen oder entrückenden Verhaltensweisen versuchen sie, diese Wunden zu betäuben und die von Neurosen und Depressionen überfrachteten Kränkungsreaktionen zu mildern.“ Der Zusammenhang von Sucht und Kränkung könnte im Wesentlichen auf drei Wegen zustande kommen.

Sucht könnte eine Folge nicht überwundener Kränkungen sein. Umgekehrt kann der Suchtprozess viele kränkende Situationen mit sich bringen. Schließlich wäre ein Zusammenspiel von gemeinsamen Ursachen und gegenseitiger Interaktion möglich. Reinhard Haller erklärt: „Falls Sucht durch Kränkung bedingt ist, stünde am Anfang wahrscheinlich der Versuch, die durch Kränkung hervorgerufenen Verletzungen mit betäubenden Drogen zu „behandeln“. Mit ihrer Wirkung soll der seelische Schmerz gelindert, die Enttäuschung ertragen und die Kränkungsreaktion abgeschwächt werden.“

Jede Suchtkarriere ist mit unzähligen Kränkungen verbunden

Oft sind den Betroffenen die Kränkungsauslöser gar nicht bewusst, da sie in einer nicht mehr erinnerbaren Lebensphase liegen. Reinhard Haller erläutert: „Solche Frustrationen können die elementaren Bedürfnisse nach Sicherheit und Geborgenheit betroffen haben.“ Manchmal sind sie verdrängt oder schlummern in verschatteten Anteilen des Unbewussten, manchmal erlebt man sie wieder in der ursprünglichen Schmerzhaftigkeit. Mit Suchtmitteln soll das beleidigungsbedingte Leid gemildert oder der aus Enttäuschung resultierende Zweifel zerstreut werden.

Sucht ist nichts anderes als ein Schild gegen Gefühle der Benachteiligung und Diskriminierung, der Entwertung und Demütigung, der Beschämung und Enttäuschung, kurzum: der Kränkung. Reinhard Haller stellt fest: „Jede Suchtkarriere ist mit unzähligen Kränkungen verbunden. Schon das Berauschtsein, konkret das Verhalten während dieses außergewöhnlichen Zustands, wird im Nachhinein oft als peinlich erlebt.“ Man schämt sich für sein Verhalten, für die unüberlegt preisgegebenen Geheimnisse, für Grobheiten und Enthemmtheit, für die Bloßstellung vor sich und anderen. Quelle: „Die Macht der Kränkung“ von Reinhard Haller

Von Hans Klumbies

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