Hanno Sauer stellt die Spieltheorie vor
Im 20. Jahrhundert hat sich eine eigene wissenschaftliche Disziplin herausgebildet, die sich zu einem großen Teil mit den Bedingungen und Grenzen menschlicher Kooperation beschäftigt. Hanno Sauer erläutert: „Die sogenannte Spieltheorie untersucht, wie rationale Akteure miteinander interagieren, und versucht insbesondere zu erklären, warum es oft so schwierig ist, kooperatives Handeln entstehen zu lassen und zu stabilisieren.“ Die Bezeichnung Spieltheorie ist unglücklich gewählt, da sie entweder suggeriert, es handle sich um eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Spielen – also etwa Schach oder Poker oder Basketball – oder dass das menschliche Zusammenleben als unseriöser Zeitvertreib denunziert werden solle. Beides ist nicht der Fall. Tatsächlich interessieren sich Spieltheoretiker dafür, menschliche Interaktion mit präzisen mathematischen Modellen zu beschreiben. Hanno Sauer ist Associate Professor of Philosophy und lehrt Ethik an der Universität Utrecht in den Niederlanden.
Von Kooperationen profitieren alle
Diese Beschreibung geschieht vor allem mit dem Ziel zu verstehen, warum Kooperation so oft misslingt oder gar nicht erst zustande kommt. Hanno Sauer erklärt: „Die Bezeichnung Spieltheorie hat damit zu tun, dass sich Interaktionen als Sequenzen von Handlungen betrachten lassen, bei denen der jeweils vorangegangene Zug von A darüber entscheidet, was für B der beste Gegenzug wäre.“ Als kooperativ wird ein Verhalten genau dann bezeichnet, wenn es das unmittelbare Selbstinteresse zugunsten eines größeren gemeinsamen Vorteils zurückstellt.
Hanno Sauer stellt fest: „Das hat nichts mit Selbstaufopferung zu tun: Von Kooperation profitieren alle, weswegen es besonders frustrierend ist, wenn diese an Kleinlichkeit, Impulsivität oder kurzsichtigem Denken scheitert.“ Kooperative Handlungen orientieren sich an Normen, welche die rationale Nutzenmaximierung des Einzelnen zwar einschränken, dadurch aber zu Win-win-Situationen führen, die in der Spieltheorie als Spiele mit „positiven Summen“ bezeichnet werden.
Das „Gefangenendilemma“ hat Eingang in den populären Diskurs gefunden
Nullsummenspiele wie Poker zeichnen sich dadurch aus, dass die Verluste des einen die Gewinne des anderen sind – die Summe von Gewinnen und Verlusten ist null. Hanno Sauer fügt hinzu: „Bei Negativsummenspielen verlieren alle. Weil niemand zu kurz kommt, erfüllen kooperative Win-win-Handlungen deshalb ein wichtiges Kriterium der Gerechtigkeit: Sie lassen sich allen Betroffenen gegenüber rechtfertigen.“ Es gibt mindestens ein Schlagwort aus der Spieltheorie, das inzwischen Eingang in den populären Diskurs gefunden hat: der Begriff des „Gefangenendilemmas“.
Das Gefangenendilemma scheint eine entlegene Spezialsituation zu beschreiben, die nicht alltagsrelevant ist. Hanno Sauer weiß: „Tatsächlich handelt es sich hierbei nur um eine lebhafte Illustration eines allgemeineren Problems, mit dem sich der Grundkonflikt sozialen Handelns präzise modellieren lässt.“ Kooperatives Verhalten ist für alle Beteiligten fast immer die beste Option. Das Problem ist, dass es für jede einzelne Person noch besser ist, wenn alle anderen kooperieren, sie aber die anderen übervorteilen kann. Quelle: „Moral“ von Hanno Sauer
Von Hans Klumbies