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Das Erleben wird im Gehirn zu Biologie

Die biologische Struktur des Gehirns wird durch all das geformt, was sie an Informationen über die Jahre aufnimmt. Hans-Otto Thomashoff erklärt: „Unser Erleben wird in unserem Gehirn zu Biologie. Dadurch passen wir uns mit jedem Schritt, den wir in unser Leben hineinwachsen, besser an die Bedingungen unserer Umwelt an, ein Entwicklungsprozess, der bereits vor der Geburt beginnt und ein Leben lang anhält.“ Einmal im Gehirn gespeicherte Erfahrungsmuster werden bewahrt und bei Bedarf wie eine Schablone über das aktuell wahrgenommene Geschehen gelegt. Passt die existierende Schablone, wird sie beibehalten und mit jeder Anwendung verstärkt, um bei nächster Gelegenheit umso leichter und schneller präsent zu sein. Es ist wie beim Vokabellernen. Hans-Otto Thomashoff ist Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse in eigener Praxis in Wien.

Unbewusst wollen Menschen ihre Meinung immer wieder bestätigen

Auf jede aktuelle Gegebenheit projizieren Menschen erst einmal den Erfahrungsschatz, den sie bereits aufgebaut haben, weil er in der Struktur ihres Gehirns verankert ist und deshalb ihre Erwartungshaltung bestimmt. Hans-Otto Thomashoff ergänzt: „Deshalb neigen wir dazu, einmal gemachte und bewährte Erfahrungen beizubehalten und selbst neue Erfahrungen an die bekannten Schablonen anzupassen. Kein Wunder, dass diese Neigung im Alter zunimmt, weil sich Muster, die wir jahrelang beibehalten, regelrecht in unsere Hirnstruktur einbrennen.“

Das gilt keineswegs nur für Handlungs- sondern auch für Denkmuster. Unbewusst streben Menschen also danach, sich ihre Meinung immer wieder aufs Neue zu bestätigen. Sofern sie nicht bewusst gegensteuern, sind sie latent intolerant bis missionarisch. Hans-Otto Thomashoff erläutert: „Die Folge dieses strukturell konservativen Aufbaus unseres Gehirns ist eine Selbstverstärkungstendenz, die nicht nur unseren individuellen Starrsinn im Alltag prägt, sondern auch unsere staatlichen Strukturen.“ Etwa werden in der Steuergesetzgebung einmal aufgebaute Regelungen beibehalten und solange weiterentwickelt, bis keiner mehr den Durchblick hat.

Revolutionen ermöglichen einen Neustart

Vergleichbar mit der Struktur im menschlichen Gehirn fällt es überall dort, wo staatliche Strukturen in vielen Jahren aufgebaut wurden, schwer, etwas zu ändern. Hans-Otto Thomashoff vermutet: „Das dürfte ein wesentlicher Grund dafür sein, dass es in der Geschichte oft radikaler Umbrüche bedurfte, um neuen Strukturen eine Chance zu geben. Revolutionen ermöglichten einen Neustart, wo verkrustete Ordnungen erstarrt waren – allerdings häufig um einen hohen Preis.“

Auch die Politiker selbst sind – wie jeder andere Berufsstand – dem Drang zur Selbstverstärkung ausgesetzt. Hans-Otto Thomashoff fügt hinzu: „Die ihnen zugeteilte Machtfülle ist narzisstisch verlockend und wird zur Selbstverständlichkeit mit einem permanenten Streben nach mehr.“ Noch weitaus drastischer kam die Selbstverstärkungstendenz bei manchen Alleinherrschern, die, einmal an der Macht, in ihrem Streben nach nicht enden wollender Selbstinszenierung keine Grenzen mehr kannten. Quelle: „Mehr Hirn in die Politik“ von Hans-Otto Thomashoff

Von Hans Klumbies

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