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Unschuldig Notleidende verdienen Hilfe

Helga Kernstock-Redl erläutert: „Echte Schuld entsteht nur bei einer ebenso echten Wahlmöglichkeit. Das durchzieht nicht nur die Gesetzeslage, sondern auch die menschliche Psyche – was natürlich kein Wunder ist, denn die Gesetze werden von Menschen gemacht.“ Wer nachweislich keine Wahl hatte, ist nicht oder zumindest weniger schuldig. Unschuldig Notleidende verdienen Hilfe. Doch bekommen sie diese auch? Fakt ist: Wer an der eigenen Not mitschuldig ist oder auch nur so erscheint, erfährt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht oder weniger Mitgefühl, geringere soziale Unterstützung und keine Entschädigung. Vielmehr werden ihr oder ihm von eigentlich guten Mitmenschen Schuldzuweisungen, manchmal sogar Beleidigungen durchaus aggressiv an den Kopf geworfen. Helga Kernstock-Redl ist jedenfalls der Meinung, dass wer Schmerzen und Schaden erleidet, zunächst Trost und Hilfe verdient. Helga Kernstock-Redl ist Psychologin und Psychotherapeutin. Sie beschäftigt sich vor allem mit der Psychologie der Gefühlswelt.

Erst nach dem Hochstress kommt die Zeit für eine kritische Analyse

Später kann man mit Betroffenen immer noch über mögliche Lernerfahrungen und Konsequenzen diskutieren. Helga Kernstock-Redl erklärt: „Erst nach dem Hochstress kommt die Zeit für eine kritische Analyse der Situation, denn das Selbst-Verschuldete ist vielleicht tatsächlich vielleicht das Selbst-Beeinflussbare.“ Helga Kernstock-Redl persönlich leidet sogar mehr, wenn sie sich an einer eigenen Verletzung Mitschuld geben muss, weil vielleicht ein Schuldgefühl oder Ärger über sich selbst dazukommt. Also verdient sie sogar mehr Mitgefühl.

Ursachen-Schuld soll gesucht, Strafen verteilt und Lernerfahrungen können angeregt werden – aber bitte erst, wenn der Notarztwagen wieder weg ist. Helga Kernstock-Redl stellt fest: „Der „Selber schuld, kein Mitleid“-Mechanismus hat eine folgenschwere Auswirkung, weil dadurch die leidenden Menschen von aggressiven Schuldzuweisungen und sozialer Abwendung getroffen werden können. Das kann seelisch tief verletzen oder wird zumindest gerechtfertigte Irritation auslösen.“

Zum Mitleid gesellt sich manchmal Ohnmacht

Die Ursachen für ungutes Verhalten, das leidende Menschen trifft, liegen nur selten darin, dass die anderen Menschen böse sind – obwohl es natürlich auch die gibt – sondern mehrheitlich im genauen Gegenteil: Einerseits handeln Helga Kernstock-Redls Erfahrung nach alle jene so, die ihre Empathie nicht regulieren können. Wer sich deshalb nicht abgrenzen kann, leidet enorm mit, ober er will oder nicht. Zum Mitleid gesellt sich vielleicht die Ohnmacht, dagegen nichts tun zu können.

Andererseits gibt es Mitmenschen, die ihren moralischen Gesetzen gemäß glauben, extrem hilfsbereit sein zu müssen oder immer alle retten zu können. Diese tendieren bekanntermaßen zu einem hohen Maß an Schuldgefühlen, wenn sie diese Gesetze nicht befolgen oder umsetzen können. Helga Kernstock-Redl weiß: „Beide Typen kann es entlasten, den Opfern möglichst viel Schuld zuzuweisen, bis hin zu einer Täter-Opfer-Umkehr, wie es der Sozialpsychologe Jens Förster treffend zusammenfasst.“ Quelle: „Schuldgefühle“ von Helga Kernstock-Redl

Von Hans Klumbies

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