Bedürfnisse verwandeln sich oft in Vorwürfe
Erwartungstypen sind Bedürfnisse, die zumindest teilweise unreflektiert in den tiefen Schichten des Bewusstseins eines Menschen schlummern. Erst der äußere Anstoß des Nicht-Erfüllens verlagert sie ins Bewusstsein. Diese Chance wird jedoch selten genutzt. Reinhard K. Sprenger stellt fest: „Wir haben in der Regel nicht gelernt, uns selbst über unsere Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen aufzuklären, noch haben wir gelernt, darüber zu sprechen. Deshalb lenken wir sie aggressiv nach außen.“ Wenn Menschen sprechen, dann im Modus der Anklage: Sie externalisieren. Das haben sie gelernt. Daher kommen ihre Bedürfnisse zumeist in grimmiger Form ans Tageslicht: Bedürfnisse werden in Vorwürfe verwandelt. Unausgesprochene Erwartungen sind ebenso zugänglich wie üblich: Erwartungen und Maßstäbe sind dabei nicht abgeglichen worden. Reinhard K. Sprenger, promovierter Philosoph, ist einer der profiliertesten Führungsexperten Deutschlands.
Viele Menschen können sich nicht offen zu ihren Bedürfnissen bekennen
Der naheliegende Grund dafür: Solange der Konflikt „negativ“ erlebt wird, fällt es vielen Menschen schwer, sich offen zu ihren Bedürfnissen zu bekennen. Reinhard K. Sprenger erklärt: „Es könnte ja deutlich werden, dass der andere ihren Erwartungen nicht entsprechen will. Oder ihr eigener Zweifel an der Angemessenheit ihrer Erwartungen bestätigt wird.“ Deshalb ist die Neigung verbreitet, vorbeugend nicht zu viel zu erwarten. Das ist ein Leben aus dem Halben, nicht aus dem Vollen.
Wer diesen Konflikt vermeidet, vermeidet die Welt. Reinhard K. Sprenger fügt hinzu: „Und hofft. Häufig vergeblich. Dann wird es teuer. Sie zahlen entweder den Preis ihrer Selbstachtung oder hohe Abfindungen.“ Allerdings gilt auch: Man sollte sich nicht in Ausgesprochenen verlieren. Manchmal ist Schweigen einfach praktisch. Wer alle Konflikte im Voraus beseitigen will, sollte erst gar keine Beziehung beginnen. Denn allem Anfang wohnt bekanntlich ein Zauber inne.
Die Liebe ist immer eine zweifelnde Liebe
Es ist nicht klug, ihn gleich zu Beginn zu zerstören. Viele Wege entstehen erst beim Gehen. Und selbst die Liebe kann sich entwickeln. Auch die Liebe zu einer Aufgabe. Eine Definition sozialer Konflikte lautet: Der andere erfüllt nicht die eigenen Erwartungen. Das Gefühl kennen viele Menschen seit frühester Kindheit – dass ihre Erwartungen frustriert werden. Reinhard K. Sprenger erläutert: „Was ihr ganzes Leben überschattet mit der Möglichkeit, nicht das zu bekommen, was sie wollen.“
Verständlicherweise gefällt ihnen das heute noch nicht. Wenn mich ein anderer enttäuschen kann, gebe ich ihm ja Bedeutung für mein Leben. So wie die Liebe für einen anderen immer eine zweifelnde Liebe ist, die mit der Möglichkeit Nichtwiedergeliebtwerdens rechnen muss – sonst wäre sie nicht die ganze Liebe. Bezogen auf die eigenen Erwartungen hat man verschiedene Handlungsmöglichkeiten. Erstens kann man an seinen Erwartungen festhalten. Das tut man sehr häufig. Aber das ist nicht kostenlos. Quelle: „Magie des Konflikts“ von Reinhard K. Sprenger
Von Hans Klumbies