Neid ist die Wurzel des Hasses
Neben den allgemeinen, an jeder Hassentwicklung beteiligten Ursachen und Motiven wie Kränkung oder Benachteiligung gibt es mehrere große Wurzeln, die gehäuft Hass auslösen oder diesen verstärken. Reinhard Haller kennt sie: „Im Einzelnen sind dies Neid und Eifersucht – von Nietzsche als „Schamteile der menschliche Seele“ bezeichnet –, weiters Gier und Rache.“ All dies sein eigeneständige und verschiedenartige Gefühlskomplexe, denen aber eines gemein ist: Sie führen häufig zum Hass. „Neid gibt dem Hass Flügel“, meint der Aphoristiker Fred Ammon. Xenophon (430 – 354 v. Chr.), griechischer Schriftsteller und Schüler des Sokrates, sah im Neid die Wurzel des Hasses: „Zur Feindschaft führen auch Streitsucht und Zorn, zum Groll die Habgier, und zum Hass führt der Neid.“ Prof. Dr. med. Reinhard Haller war als Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe über viele Jahre Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Heute führt er eine fachärztliche Praxis in Feldkirch (Österreich).
Hass lässt sich durch kein Argument entkräften
In der Bibel wird der Neid an mehreren Stellen verurteilt, beginnend in der Erzählung von Kain und Abel. Reinhard Haller ergänzt: „Seit dem 6. Jahrhundert gehört er im Christentum zu den sieben Hauptsünden. Im Islam gilt Neid als schlechte Eigenschaft, die zu Unheil und Tod führen kann. Der Hinduismus sieht im Neid ein nicht akzeptiertes Karma, das der Welt der Kasten entgegensteht.“ Der römische Philosoph Seneca (1 – 65 n. Chr.) warnte: „Nie wird einer glücklich sein, den das größere Glück eines anderen wurmt.“
Und der deutsch-jüdische Philosoph Hermann Cohen interpretiert den Hass als „verhärteten Neid“. Neid sei aber leichter zu bekämpfen, weil er häufig einen Grund habe, während sich Hass als „eine elementare Gewalt außerhalb der sittlichen Überlegung“ darstelle. Deshalb lasse sich Hass durch kein Argument entkräften, so Cohen. Aber was ist Neid überhaupt? Reinhard Haller erläutert: „Nach der psychologischen Definition ist er eine menschliche Emotion, die sich innerlich auf Besitz, Eigenschaften oder etwas anderes beziehen kann, was einen anderen Menschen in seiner Individualität auszeichnet.“
Narzisstische Störungen führen häufig zu Hass
Elementar ist die Unterscheidung zwischen dem konstruktiven und dem auch als Missgunst bezeichneten destruktiven Neid. Reinhard Haller erklärt: „Im ersten Fall kann der Neid den Betroffenen anspornen, sich selbst zu verbessern und so zu werden, wie es der Beneidete ist, bestenfalls ihn gar zu übertreffen.“ Bei der Missgunst hingegen will man die Leistungen des Besseren schmälern, ihn herunterholen von dem Sockel, auf den man ihn gestellt hat, und nach Möglichkeit niedermachen.
Das schadenfreudige Sprichwort „Wer hoch steigt, der fällt tief“ beinhaltet diesen motivationalen Hintergrund, vor dem sich Hass entwickeln kann. Reinhard Haller weiß: „Im Gegensatz zu Sigmund Freud, welcher im Neid keine wesentliche Ursache neurotischer Störungen sieht, weisen ihm andere Psychoanalytiker in der frühkindlichen Entwicklung große Bedeutung zu.“ Otto Kernberg etwa sieht im abwertenden Neid eine wesentliche Komponente der narzisstischen Störungen, die ihrerseits häufig zu Hass führen. Quelle: „Die dunkle Leidenschaft“ von Reinhard Haller
Von Hans Klumbies