Gute Beziehungen beruhen auf Anerkennung
In einer hochentwickelten Gesellschaft beruhen gute Beziehungen auf Anerkennung. Diese ist erheblich schwieriger zu geben und anzunehmen als etwa das Teilen der Beute in einer Jägerkultur oder die Versorgung der gebrechlichen Eltern mit Nahrung. Wolfgang Schmidbauer weiß: „Da beide Seiten wenig Gelegenheit haben, ihre Dankesschulden durch körperliche Präsenz und physische Gaben abzugelten, kommen Eltern ebenso wie Kinder in die familientherapeutische Praxis, wenn die Kränkungen überhandnehmen, insbesondere dann, wenn eine imaginäre Schuld nicht nur ignoriert wird, sondern Gegenforderungen auftauchen: Nicht ich bin dir, nein, du bist mir etwas schuldig geblieben.“ Wenn ein Therapeut unsicher ist, ob seine Arbeit Früchte trägt, wenn er an sich selbst zweifelt und diesen Zweifel nicht sinnvoll findet und produktiv nutzt, sondern mit Schuld- und Schamgefühlen auf ihn reagiert, dann stehen ihm zwei Auswege offen. Wolfgang Schmidbauer gilt als einer der bekanntesten Psychoanalytiker Deutschlands.
Fehlerhafte Eltern macht man für alles Böse verantwortlich
Der Therapeut kann selbst die Abstinenz verletzen und hoffen, bei seinen Klienten Trost zu finden – die auffälligste Folge ist der sexuelle Übergriff –, oder aber er kann die Eltern oder Partner seiner Patienten schwarzmalen, um aus dem Kontrast zu diesen heller zu leuchten. Wolfgang Schmidbauer ergänzt: „Wenn der Patient klagt, dass sich sein Befinden nicht bessert, liegt das eben daran, dass sich die Eltern an ihm heftiger versündigt haben als bisher angenommen.“
Die defensiven Eigenschaften solcher Manöver sind an ihrer Schwarz-Weiß-Zeichnung und am Mangel an Selbstreflexion erkennbar. Aber gerade diese Qualitäten machen auch ihre Faszination aus. Wolfgang Schmidbauer erklärt: „Wie wir von guten Eltern alles Gute erhoffen, können wir fehlerhafte Eltern für alles Böse verantwortlich machen. Wer Prestige und Sinn stiftet, muss eine reine Gestalt sein.“ Er weckt Neid, der in voller Wut losbricht, wenn er sich als eigennützig entlarven lässt.
Eltern leiden manchmal an den Vorwürfen ihrer erwachsenen Kinder
Die nun sich selbst ernennenden Richter projizieren auf ihr Feindbild ein Stück eigener narzisstischer Unersättlichkeit. Wolfgang Schmidbauer erläutert: „Sie selbst sind sich – mit gutem Grund – der Reinheit ihrer Motive nicht ganz sicher. Aber solange sie eindeutige Teufel bekämpfen, stehen sie fleckenlos da.“ Die erwachsenen Kinder halten das Bild von Eltern fest, die stark und differenziert genug wären, um bei gutem Willen und entsprechendem Einsatz der nächsten Generation genau das zu geben, was ihr fehlt.
Wolfgang Schmidbauer kritisiert: „Leider entziehen sich Eltern böswillig oder gleichgültig von dieser Aufgabe. Sie verweigern dem Kind etwas, auf das ein Recht zu haben glaubt: Eltern, die so stark und einsichtig sind, wie man sie gerne hätte.“ Das Buch „Böse Väter, kalte Mütter?“ von Wolfgang Schmidbauer richtet sich an alle, die sich für Familien interessieren, vor allem aber an Eltern, die unter den Vorwürfen erwachsener Kinder leiden. Kritik an schlechten Eltern ist etabliert, denn sie gelten als belastbar und sollen Verantwortung tragen. Quelle: „Böse Väter, kalte Mütter?“ von Wolfgang Schmidbauer
Von Hans Klumbies