Achtsamkeit verwandelt die Wirklichkeit
In der Haltung der Achtsamkeit vollendet sich die in sich Gekehrtheit des Einzelnen. Heinz Bude erklärt: „Man entschleunigt sich, entzieht sich und enthält sich.“ Was um einen Menschen herum passiert, trifft diesen nur dann, wenn er sich dazu entschließt, sich davon treffen zu lassen. Sein reiner, ungetrübter Blick lässt alles so sein, wie es ist. Und er kann sich mit lächelnder Unberührtheit ganz auf sich selbst konzentrieren. Es kann aber passieren, dass sich Menschen mit dem Wunsch nach Achtsamkeit, Verbundenheit und Gelassenheit selbst eine Falle stellen. Für den Philosophen ist dies ein Versuch, ein anderes Verhältnis zur Wirklichkeit zu gewinnen. Dieses rückt vom wollenden Ich ab, das etwas in der Welt bewirken will und sich um die Zukunft sorgt. Seit dem Jahr 2000 ist Heinz Bude Inhaber des Lehrstuhls für Makrosoziologie an der Universität Kassel.
Handlungen sind immer vom Scheitern bedroht
Das menschliche Wollen ist jedoch jeden Moment vom Scheitern bedroht. Nicht weil ein Mensch den Zweck nicht klar bestimmt. Sondern aus dem einfachen Grund, dass der Erfolg seines Handelns nicht allein von ihm selbst abhängt. Das ist in erster Linie eine Erfahrung der beruflichen Tätigkeit. Heinz Bude stellt fest: „Wie beschränkt mein Einfluss, wie gering mein Beitrag ist, zeigt sich schließlich bei Zielen allgemeiner oder politischer Art. Was kann ich schon tun, wie ein Übel wie die globale Erderwärmung oder das Übel des Auseinanderklaffens der Schere zwischen Arm und Reich zu vermeiden?“
Die Erkenntnis des radikalen Ungenügens seines Handelskönnens kann einen Menschen jedoch noch schlimmer treffen. Nämlich wenn es um ganz elementare Ziele wie Gesundheit, Glück, das Gedeihen der eigenen Kinder und die Verbundenheit mit anderen geht. Wenn es für einen ernst wird, muss man zugestehen, stößt man ganz schnell an Grenzen des eigenen Wirkenkönnens. Deshalb steckt im menschlichen Handeln von Anfang an die Angst, nichts ausrichten zu können.
Die Religion ist ein infantiler Wunsch nach Größe
Und die erste und letzte Angst ist die Angst vor dem eigenen Tod. Der, wie Martin Heidegger ausgeführt hat, für das Dasein nicht aussteht, sondern in vorlaufender Einholung gegenwärtig ist. Diese existenzielle Erfahrung der Kontingenz – der Offenheit und Ungewissheit – macht den Menschen klein und ohnmächtig. Und er hat im Grunde nur zwei Möglichkeiten, damit fertig zu werden. Er kann sich entweder einen großen Bewirker ausdenken, den man durch Gaben oder Glauben auf seine Seite ziehen kann.
Oder er übt sich in Wunschlosigkeit und ergibt sich einem numinosen Universum. Den ersten Weg weist für Ernst Tugendhat die Religion, die Sigmund Freud mit der Überschrift „Die Zukunft einer Illusion“ versehen hat. Denn es ist das Fortleben des infantilen Wunsches nach Größe und Verschmelzung. Der zweite ist der Weg der Mystik, der Ernst Tugendhats Überzeugung jedem Menschen zugänglich ist. Denn er ist weder von besonderen Exerzitien noch von einer besonderen Begabung abhängig. Quelle: „Solidarität“ von Heinz Bude
Von Hans Klumbies