Die Ausrede des Unwissens zieht oft nicht
Ein Vehikel, wie Menschen ihr Selbstbild vor moralischen Selbstzweifeln schützen können, ist die Behauptung oder Überzeugung, dass sie etwas nicht gewusst haben. Armin Falk erläutert: „Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts. Eine tolle Geschichte, die wir uns und anderen immer wieder von Neuem erzählen. Und die wir ebenso oft von anderen hören.“ Und es stimmt ja auch; Wie kann man jemanden für etwas verantwortlich machen, wenn der Betroffene nichts wissen konnte? Das Problem für die Moral ist, dass diese Ausrede oft nicht zieht. Die exkulpierende Wirkmacht des Unwissens erklärt die Strategie, warum Menschen wegsehen und nicht wissen wollen. Armin Falk leitet das Institut für Verhaltensökonomik und Ungleichheit (briq). Außerdem ist er Direktor des Labors für Experimentelle Wirtschaftsforschung, sowie Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn.
Viele verschließen die Augen vor den Konsequenzen ihres Handelns
Armin Falk stellt fest: „Oft könnten wir sehr leicht mehr wissen über die moralisch bedenklichen Folgen unseres Handelns. Aber wir ziehen es vor, die Augen zu verschließen, uns von den Fakten abzuwenden.“ Obwohl sie sehr leicht wissen könnten, was passiert, tauchen viele Menschen in ein selbsterschaffenes Faktenvakuum ein, um vor sich selbst und anderen behaupten zu können, es ja nicht gewusst zu haben. Aber wie funktioniert das? Kann man sich wirklich erst selbst entscheiden wegzusehen und sich dann mit der Ausrede trösten, nichts gewusst zu haben?
Was bedeutet dieses Nicht-wissen-wollen? Es zeigt, dass man manchmal absichtlich die Augen vor den Konsequenzen des eigenen Verhaltens verschließt. Das ermöglicht einem Menschen, den eigenen Vorteil zu maximieren und trotzdem ein gutes Image aufrechtzuerhalten. Denn schließlich ist ja nicht klar, ob eigennütziges Verhalten für den anderen ein Nachteil war. Wird schon gut gehen. Augen zu und durch. Eine besonders eindrückliche Form des angeblichen Nichtwissens war die kollektive Vergewisserung nach dem Zweiten Weltkrieg, von den Gräueltaten der Nazis nichts gewusst zu haben.
Widerstandskämpfer stellten sich gegen die Diktatur
Dass sie von der Judenverfolgung keine Ahnung hatten, ist eine der wichtigsten Entlastungsgeschichten, die sich eine ganze Generation von Zeitzeugen erzählt hat. Armin Falk weiß: „Dabei gilt heute als erwiesen, dass ein großer Teil der Zivilbevölkerung sehr wohl Bescheid wissen konnte. Zahllose Briefe und Augenzeugenberichte legen darüber unmissverständliches Zeugnis ab.“ Die Tatsache, dass nicht jedes Detail bekannt war, ermöglicht den kleinen Raum von Unsicherheit und Plausibilität, um die Augen zu verschließen.
Die Aufarbeitung des Holocaust vollzog sich in Deutschland auch deshalb zunächst so schleppend, weil dies die kollektiv erzählte Geschichte von der Unschuld durch Unwissenheit zu zerstören drohte. Armin Falk betont: „Wenn klar wird, dass man sehr wohl Bescheid wusste oder Bescheid wissen konnte, stellt sich die Frage nach der eigenen Verantwortung sehr viel drängender als hinter dem Schleier der vermeintlichen Ignoranz.“ Widerstandskämpfer werden und wurden auch deshalb von so vielen gehasst: weil sie Zeugnis davon ablegten, dass man sehr wohl wusste, was der Fall war und dass es sehr wohl die Option gab, sich dagegenzustellen. Quelle: „Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein“ von Armin Falk
Von Hans Klumbies