Burn-out ist keine medizinische Diagnose
Soll nun sogar Burn-out eine Folge von Kränkungen sein? Eine derart skeptische Frage ist zweifelsohne berechtigt, wenn zwei inflationäre und nicht streng wissenschaftlich Ausdrücke in fachliche Überlegungen einfließen. Reinhard Haller erläutert: „Tatsächlich ist Burn-out keine medizinische Diagnose und „Kränkung“ kein wissenschaftlicher Begriff. Von psychiatrischer Seite wird zu Recht darauf hingewiesen, dass der Ausdruck Burn-out heute für die Bezeichnung sehr vieler psychischer Störungen, insbesondere depressiver Art, herangezogen werde.“ Vieles, was überhaupt keine Störung sei, und manche tatsächlich schwere psychische Erkrankungen werden heut ein den Burn-out-Begriff verpackt. Rein fachlich könnte damit nur ein Erschöpfungszustand, der mehr mit Lebensführung als mit Krankheit zu tun habe, gemeint sein. Prof. Dr. med. Reinhard Haller war als Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe über viele Jahre Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Heute führt er eine fachärztliche Praxis in Feldkirch (Österreich).
Burn-out ist eine „anständige“ Störung
Trotzdem erfreut sich das Wort Burn-out einer großen Popularität und gilt heute als der am meisten verwendete medizinische Begriff in der Laienpresse. Warum ist das so? Reinhard Haller erklärt: „Zunächst ist der Ausdruck, ähnlich jenem der Verbitterung, sehr anschaulich und trifft den Zustand gestresster und überarbeiteter Menschen geradezu selbstredend. Als englisches Wort wirkt er fachlich, modern, nicht stigmatisierend.“ Burn-out ist eine „anständige“ Störung, die mit hoher Leistungsbereitschaft, Einsatz und Arbeiten bis zum Umfallen in Verbindung gebracht wird.
Da klingt es bei Weitem nicht so gut, wenn man von Nervosität, Angst, Erschöpfung oder Schlafstörungen spricht. „Wer hat noch kein Burn-out?“, titulierte kürzlich ein Magazin. Reinhard Haller betont: „Bei allen Zweifeln am Burn-out-Konzept und allen Schmähungen über das Syndrom des Ausgebranntseins darf man aber den Enttabuisierungseffekt nicht vergessen.“ Der Ausdruck Burn-out ermöglicht es den Menschen, auch über ihre psychische Gesundheit zu sprechen und eine ähnliche Sachlichkeit wie bei körperlichen Erkrankungen zu entwickeln.
Burn-out ist ein Zustand psychischer Übermüdung
Burn-out hat – wenn man so will – psychische Störungen ein Stück weit salonfähig gemacht. Reinhard Haller verwendet im Folgenden die Sprachregelung, dass mit der Verwendung des Ausdrucks Burn-out all das gemeint ist, was darunter verstanden wird und auch fachlich zu verstehen ist: ein Zustand der psychischen Übermüdung und totalen geistigen Erschöpfung. Was hat das aber mit Kränkung zu tun? Burn-out ist doch Folge extremen Einsatzes, dauernden Stresses und immer stärkerer Leistungsüberforderung.
So steht das in den Lehrbüchern, so wird das immer wieder beschrieben. Geht man aber zurück auf die Entstehung des Burn-out-Konzepts, rückt plötzlich das, was man als Kränkung bezeichnet, in den Vordergrund. Reinhard Haller stellt fest: „In neuerer Zeit taucht der Begriff erstmals 1960 im Roman „A Burnt-Out Case“ von Graham Greene auf. Darin wird das Schicksal eines Architekten geschildert, der von seinem Beruf enttäuscht war und sich gekränkt (!) als „Aussteiger“ in den afrikanischen Dschungel zurückzog.“ Quelle: „Die Macht der Kränkung“ von Reinhard Haller
Von Hans Klumbies