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Beim Losgehen sollte der Geist offen sein

„Ich gehe los – und sehe“ – ist eine Einladung, die zwei Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit ein Ereignis eintritt, eine Begegnung stattfindet, zu verbinden: hinauszugehen und gleichzeitig bereit zu sein, anzunehmen, was sich zeigt, egal ob es gut ist oder schlecht. Charles Pépin ergänzt: „Losgehen, allerdings nicht so sehr zielgerichtet, sondern offenen Geistes, weniger konzentriert auf das Ziel als aufmerksam für alles Übrige.“ Wenn man hinausgeht, den Kopf ganz vernebelt von einem Ziel, kann man dieses Ziel natürlich erreichen, aber es besteht auch die Gefahr, dass man es verfehlt und alle guten Gelegenheiten, welche die Wirklichkeit zu bieten hatte, unbeachtet gelassen hat. Charles Pépin ist Schriftsteller und unterrichtet Philosophie. Seine Bücher wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

Die Bereitschaft ist die Kunst der Gegenwart

Öffnet man aber alle Türen und Fenster seines Geistes und achtet sorgfältig auf das Hier und Jetzt ebenso wie auf sein primäres Ziel, dann erweist sich das Feld der Möglichkeiten als riesengroß. Charles Pépin erklärt: „Zum Handeln als erster Bedingung von Begegnung kommt also noch eine zweite hinzu: Bereitschaft.“ Menschen sollten sich hinausbegeben, ohne der Routine zu verfallen, ohne sich durch die Gewohnheit einschläfern zu lassen, mit einer Haltung der Aufmerksamkeit und Empfänglichkeit. Damit ist schon die Bereitschaft angesprochen.

Jetzt gilt es, noch einen Schritt weiter zu gehen, um zu begreifen, welche Art von Gegenwärtigkeit sie von einem Menschen verlangt. Charles Pépin betont: „Das Handeln lenkt uns in die Zukunft, projiziert uns auf morgen. Die Bereitschaft ist die Kunst der Gegenwart.“ Nicht um den anderen zu begegnen, sollte man sich hinausbegeben, sondern um sich in Bereitschaft für Begegnung zu versetzen. Allzu konkrete Erwartungen bergen die Gefahr, dass man die Begegnung mit einer Person, die den eigenen Kriterien nicht entspricht, verpasst, obwohl man etwas Schönes mit ihr hätte erleben können.

Das Überraschende kann Schönes hervorbringen

Menschen haben Erwartungen – sie können sich nicht von allen Wünschen frei machen. Diese Erwartungen setzen eine Bewegung in Gang. Charles Pépin fügt hinzu: „Fungieren sie aber als Motor, können sie auch zu Scheuklappen werden, die uns daran hindern, das ganze Spektrum der Möglichkeiten und Gelegenheiten zu sehen, aus denen das Fleisch des Wirklichen besteht.“ Es ist gewissermaßen so, desto weiter öffnen sie den eigenen Gesichtskreis und das Feld der Welt- und Menschenbeziehung.

Charles Pépin erläutert: „Wir müssen sie manchmal sogar ganz aufgeben, um uns für etwas anderes zu öffnen – alles verändern, „changer tout“, wie die Fußballer auf Französisch sagen, wenn sie einen Flankenwechsel vornehmen, sprich ihren Angriff auf die andere Seite verlagern.“ Bereitschaft ist die Fähigkeit zu sehen, was sich einem Menschen darbietet und nicht der eigenen Erwartung entspricht; sie ist das Vermögen, das Unerwartete, Überraschende anzunehmen. Quelle: „Kleine Philosophie der Begegnung“ von Charles Pépin

Von Hans Klumbies

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