Das Gewissen ist eine Anpassungsleistung
Auch Sigmund Freud (1856 – 1939) analysiert das Gewissen. Für ihn ist die tendenziell destruktive Aggression in der Triebstruktur des Menschen angelegt. Diese gefährdet die kulturellen und gesellschaftlichen Errungenschaften. Das muss zu deren Aufrechterhaltung verhindert werden. Sigmund Freud schreibt: „Die Spannung zwischen dem gestrengen Über-Ich und dem unterworfenen Ich heißen wir Schuldbewusstsein; sie äußert sich als Strafbedürfnis.“ Das Gewissen ist für Sigmund Freud eine von „der Kultur“ auferlegte Anpassungsleistung. Klaus-Peter Hufer fügt hinzu: „Der Erfolg ist, dass es mit ihr eine Instanz schafft, die sich gegen die eigene Person, die Trägerin des Gewissens ist, richtet. Es wirkt gegen tiefe Bedürfnisse und Antriebe eines Menschen.“ Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.
„Gewissensbisse“ haben eine erzieherischen Funktion
Das Gewissen, das sich bei ihm herausgebildet hat, dämmt in einer internen Kontroll- und manchmal auch Konfliktsituation die eigenen Triebe ein. Das geschieht stellvertretend für „die Kultur“, die diese ansonsten sanktionieren würde. Das ist wie Sigmund Freud anmerkt, eine „paradoxe“ Situation: „Das Gewissen ist die Folge des Triebverzichts; oder: Der Triebverzicht schafft das Gewissen, das dann weiteren Triebverzicht fordert.“
Der amerikanische Harvard-Philosoph John Rawls (1921 – 2002) hat den „Gewissensbissen“ eine erzieherische Funktion zugeschrieben.
John Rawls schreibt: „Manche Handlungen sanktioniert man am besten, indem man die Menschen erzieht, dass ihr Gewissen ihnen Vorwürfe macht, wenn sie die bestehenden Handlungen vollziehen.“ Mit der Entstehung des Gewissens ist „die verhängnisvolle Unvermeidlichkeit des Schuldgefühls“ verbunden. Die Analyse Sigmund Freuds hat für Klaus-Peter Hufer einen Haken. Denn hätte er recht, würde mit dem „Gewissen“ der bestehende Zustand, würden die herrschenden Normen einer Gesellschaft gerechtfertigt.
Man sollte Respekt vor der Gerechtigkeit pflegen
Doch gibt es nicht auch Gründe, aus dem Gewissen heraus gegen genau diese Normen aufzubegehren und zu handeln? Ja, denn diese Normen können im Widerspruch zu den eigenen, wie auch immer begründeten Werten eines Menschen geraten. Dann stellt sich in der Tat das Problem eines möglichen Loyalitäts- und Gewissenskonflikts. Die Situation verschärft sich noch mehr, wenn aus den Gepflogenheiten und üblichen Verhaltensweisen einer Gesellschaft rechtlich verbindliche Regelungen werden, also Gesetze.
An dieser Stelle erinnert Klaus-Peter Hufer and Henry David Thoreau (1817 – 1862). Der amerikanische Schriftsteller gilt als Vorreiter des zivilen Ungehorsams und des gewaltlosen Widerstands. Henry David Thoreau schreibt: „Ich finde, wir sollten erst Menschen sein, und danach Untertanen. Man sollte nicht den Respekt vor dem Gesetz pflegen, sondern vor der Gerechtigkeit. Nur eine einzige Verpflichtung bin ich berechtigt einzugehen, und das ist, jederzeit zu tun, was mir recht erscheint.“ Quelle: „Zivilcourage“ von Klaus-Peter Hufer
Von Hans Klumbies