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Der Charakter macht den Menschen aus

In der Philosophie behandelt man die Frage „Welche Eigenschaft darf ich nicht verlieren, um weiterhin als Person zu existieren?“ unter dem Thema „personale Identität. Dabei geht es nicht um die Gruppenzugehörigkeit wie bei der Identitätspolitik. Sondern es geht darum, was einen Menschen über einen längeren Zeitraum zu derselben Person macht. Wenn sein moralischer Charakter einen Menschen als Person ausmacht, dürfte er ihn nicht verlieren, denn das käme dem Sterben gleich. Selbst wenn der Körper beispielsweise im Koma weiterexistierte. Philipp Hübl ergänzt: „Meine Arme und Beine hingegen könnte ich verlieren und wäre immer noch dieselbe Person. Nur eben mit einem veränderten Körper.“ Was also macht die Identität eines Menschen aus? Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

Die personale Integrität hängt vom moralischen Charakter ab

John Locke hat diese Frage im 17. Jahrhundert zum ersten Mal gestellt. Seitdem betrachten die meisten Philosophen mentale Eigenschaften, vor allem autobiographische Erinnerungen, als zentral für die menschliche Identität. Philosophische Laien sehen das anders. Sie machen die Identität eines Menschen an seinem Charakter, besonders an seinem moralischen Kompass fest. Denn die meisten Menschen gehen Freund- oder Liebschaften mit Menschen ein, die so sind wie sie selbst, also ihre moralischen Überzeugungen teilen.

Philipp Hübl fasst diese Tatsache noch allgemeiner: „Wir glauben, dass die personale Identität eines Menschen von seinem moralischen Charakter abhängt.“ Wenn Tatsachen oder Argumente dem eigenen moralischen Verhalten widersprechen, kann man auf zwei Weisen reagieren. Man kann sein Verhalten ändern oder die Welt umdeuten. Damit löst man eine kognitive Dissonanz, eine innere Unstimmigkeit, auf. Umdeuten ist oft verlockender, und zwar aus zwei Gründen.

Die meisten Menschen wollen moralisch konsistent sein

Zum einen steckt in der Verhaltensänderung immer auch ein Schuldeingeständnis. Zum anderen ist es einfach bequemer, unliebsame Fakten zu ignorieren oder umzudeuten, als seine Lebensweise zu ändern. Viele Menschen haben sich unbewusste Strategien angewöhnt, mit ihren Unzulänglichkeiten zu leben und kein schlechtes Gewissen zu haben. So problematisch die Neigung zur Selbsttäuschung sein mag, sie zeigt auch, dass die meisten Menschen moralisch konsistent sein wollen. Das Handeln soll in das persönliche Weltbild passen, oder wie Sigmund Freud sagt: „Wir wollen unser Ich-Ideal erhalten.“

Die Irrtümer, die daraus entstehen, nennen Psychologen „identitätsschützende Denkfehler“. In moralischen Fragen neigen Menschen vermutlich gerade deshalb zur Selbsttäuschung, weil sie ihre Moral als essentiell ansehen. Deshalb wollen sie sie unter allen Umständen erhalten. Experimente zur Selbsttäuschung deuten ebenfalls darauf hin, dass die Moral eines Menschen den Kern seiner Identität bildet. So hält beispielsweise die Mehrheit der Eltern ihre Kinder für intelligenter und sich selbst für gesünder als der Durchschnitt. Quelle: „Die aufgeregte Gesellschaft“ von Philipp Hübl

Von Hans Klumbies

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