Der Gesichtsausdruck ist eines der stärksten Signale
Die äußere Erscheinung kann täuschen. Es ist das Verhalten einer Person, das zählt, nicht ihr Gesicht. John Bargh gibt zu: „Verstandesmäßig wissen wir das natürlich alle, aber es ist sehr schwierig, über den Eindruck hinwegzukommen, den uns das Gesicht einer anderen Person vermittelt, vor allem über unseren ersten Eindruck.“ Es ist nicht so, als würden die Menschen denken, sie könnten jemand anderem allein schon am Gesicht ablesen, wie er ist. Vielmehr sind sie sich vom Gefühl her absolut sicher, recht zu haben in dem, was sie über den anderen denken. Manchmal tun sie so, als wäre das Gesicht eines anderen ein Fenster zu seinem emotionalen Zustand. Prof. Dr. John Bargh ist Professor für Psychologie an der Yale University, wo er das Automaticity in Cognition, Motivation, and Evaluation (ACME) Laboratory leitet.
Der Gesichtsausdruck war die erste zwischenmenschliche Kommunikation
Jemand, dem man begegnet, kann ständig wütend dreinschauen, das bedeutet aber nicht, dass er ständig wütend ist. Die Mitteilung der persönlichen Emotionen an andere, hauptsächlich durch den Gesichtsausdruck, betrachtete Charles Darwin evolutionsgeschichtlich als Anpassungsleistung. John Bargh erläutert: „Es war eine unserer ersten, vielleicht sogar die allererste Möglichkeit der zwischenmenschlichen Kommunikation.“ Die Evolutionspsychologen John Tooby und Leda Cosmides machen auf die faszinierende Tatsache aufmerksam, dass die Gesichtsmuskeln als einzige des menschlichen Körpers die Knochen direkt mit der Haut verbinden statt mit anderen Knochen.
Warum ist das so? Damit der Mensch seine Gesichtshaut bewegen kann. Warum betrifft das nur das Gesicht und nicht andere Körperteile? Weil das Gesicht der Teil des Menschen ist, den andere am meisten betrachten, weil sie den Blick verfolgen und auf den Mund schauen, um besser zu verstehen, was man sagt. John Bargh drückt dies wie folgt aus: „ Wir sind von der Evolution speziell dazu ausgestattet worden, unsere Emotionen auf dem Gesicht auszudrücken, damit andere sie wahrnehmen können.“
Sekundenbruchteile entscheiden über Freund oder Feind
Laut Charles Darwin vertrauen die Menschen dem Gesichtsausdruck so sehr, weil sie gelernt haben, dass Emotionen nicht einfach vorzutäuschen sind; tatsächlich lassen sich die beteiligten Gesichtsmuskeln nur schwer willentlich bewegen. Die Vorfahren der heutigen Menschen mussten sich darauf verlassen, was die Gesichter der anderen ihnen sagten, weil oft ihr Leben davon abhing, die Menschen, die ihnen begegneten, rasch einschätzen zu können.
Wie sich demnach jeder denken kann, ist der Gesichtsausdruck der Menschen um einen herum auch heute noch eines der stärksten Signale, die einem die Umwelt gibt und anhand deren man entscheidet, ob man bleibt oder geht. Neuere Forschungen haben bestätigt, dass ein Mensch sehr rasch, in Sekundenbruchteilen, urteilt, ob sein Gegenüber Freund oder Feind ist. Darüber hinaus ist dieser Eindruck so stark, dass sogar wichtige Entscheidungen wie beispielsweise politische Wahlen davon beeinflusst werden können. Quelle: „Vor dem Denken“ von John Bargh
Von Hans Klumbies