Die Angst zerstört jede Zwischenmenschlichkeit
Jeder Mensch sollte sich mit der Wirkweise der Angst auseinandersetzen. Als Faustregel gilt: Je verängstigter man ist, desto weniger differenziert kann man denken. Wird die Angst größer, nehmen Tendenzen der Pauschalisierung ebenfalls zu. Georg Pieper erläutert: „So kann ein radikales Schwarz-Weiß-Denken entstehen, bei dem man alles in Gut und Böse unterteilt. Und gegen das Böse ist, glaubt so mancher, alles erlaubt. Diese Haltung wird dann zum gesellschaftlichen Problem, denn sie gefährdet unseren Wertekanon.“ Wenn die Angst überhandnimmt, entsteht also eine große Gefahr für die Gesellschaft. Die Angst zerstört jede Zwischenmenschlichkeit. Verschiedene sozialpsychologische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Mehrheit der Deutschen vor allem auf Fremde immer zuerst mit Vorurteilen und Ängsten reagieren. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.
Die jüngere Geschichte Deutschlands ist stark vom Nationalsozialismus geprägt
Georg Pieper fordert: „Als aufgeklärte Menschen müssen wir uns von diesen primitiven Reaktionen befreien.“ Schließlich hatte Deutschland nach Kolonialismus, Waffenlieferungen und jahrzehntelanger Ausbeutung die moralische Pflicht, Flüchtlinge aufzunehmen und für sie zu sorgen. Die jüngere deutsche Geschichte ist stark geprägt von der Reaktion auf die verwerfliche Ideologie und die unsäglichen Gräueltaten der Nationalsozialisten. Eine tief greifende Konsequenz ist das angeschlagene Selbstbewusstsein der Deutschen.
Die 68er-Bewegung revoltierte dagegen, dass viele Altnazis in der Bundesrepublik immer noch „am Ruder“ waren. Sie saßen nach Ende des Krieges selbst in Ministerien unbehelligt in Leitungspositionen. Die Schuldgefühle der Tätergeneration waren nicht besonders ausgeprägt. Aus der Traumatherapie weiß Georg Pieper, dass massive Schuldgefühle, die sich ein Täter nicht zugestehen kann oder will, häufig erst in der nächsten oder übernächsten Generation empfunden werden. Auch Täter sind häufig durch ihre eigenen Taten traumatisiert, und die Psyche möchte die schwere Bürde nicht dauernd vor Augen und im Gefühl haben und verdrängt sie deswegen weit nach hinten.
Die verdrängten Schuldgefühle haben die Nachkriegsgeneration geprägt
Georg Pieper kritisiert: „Anstatt sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, widmete man sich nach Kriegsende daher lieber mit aller Kraft dem Wiederaufbau des Landes.“ Die verdrängten Schuldgefühle und das schlechte Gewissen haben die Nachkriegsgeneration, vor allem die Linke in Deutschland stark geprägt. Es ist ein bekannter psychologischer Mechanismus, dass man allzu gern Gefühle und Eigenschaften bei anderen wahrnimmt, die man selber hat, aber sich nicht zugestehen will.
Man kann keine abgewogenen, an den Fakten orientierten Entscheidungen treffen, wenn man die eigenen Ängste verdrängt oder sie sich aus ideologischen Gründen nicht eingestehen will und im Gegenzug die Ängste anderer verurteilt. Aus den durch die schreckliche deutsche Geschichte entstandenen Schuldgefühlen hat sich bei vielen Deutschen inzwischen sogar eine Art moralisches Überlegenheitsgefühl entwickelt. Die Deutschen setzen beispielsweise durch ihr Handeln in der Flüchtlingspolitik die Maßstäbe dafür, was moralisch anständig ist. Quelle: „Die neuen Ängste“ von Georg Pieper
Von Hans Klumbies