Die „Große Zermürbung“ im Job ist ein Faktum
In den USA haben im Jahr 2021 mehr als dreißig Millionen Beschäftigte ihren Job von sich aus gekündigt. Eine Entwicklung, die sich 2022 fortsetzt. „The Great Resignation“ meist als „die Große Zermürbung“ übersetzt, ist in vielen Industriestaaten ein nicht zu leugnendes Faktum. Andreas Salcher fügt hinzu: „In Deutschland hat vor allem bei Frauen der extreme Stress deutlich zugenommen. Fast jede dritte Deutsche hat 2021 extremen Stress erlebt, bei den Männern nur jeder fünfte.“ Die Top-drei-Stressverursacher der Deutschen waren 2021 ihre Arbeit, ihre hohen Ansprüche an sich selbst und Erkrankungen von nahestehenden Personen. Frauen stellen insgesamt höhere Ansprüche an sich selbst als Männer. Dr. Andreas Salcher ist Mitgebegründer der „Sir Karl-Popper-Schule“ für besonders begabte Kinder. Mit mehr als 250.000 verkauften Büchern gilt er als einer der erfolgreichsten Sachbuchautoren Österreichs.
Mitarbeiter wollen ein Gefühl der gemeinsamen Identität spüren
Frauen erleben mehr Konflikte und sind mehr Stress bei der Kinderbetreuung ausgesetzt. Viele Unternehmen verstehen nicht wirklich, warum ihre Mitarbeiter kündigen. Anstatt sich die Zeit zu nehmen, die wahren Ursachen dafür herauszufinden, flüchten sie in altbewährte Rezepte. Andreas Salcher kennt sie: „Höhere Gehälter und einmalige Bonuszahlungen, menschenwürdige Mitarbeiterunterkünfte im Tourismus oder großzügigere Freizeitregelungen.“ Das Resultat dieser materiellen Anreize ist überschaubar, weil für die Menschen durchschaubar.
Die Unternehmensberatung McKinsey & Company hat die tieferen Gründe dafür untersucht: „Wenn uns die letzten 18 Monate etwas gelehrt haben, dann, dass sich die Mitarbeiter nach Investitionen in die menschlichen Aspekte der Arbeit sehnen. Die Mitarbeiter sind müde und viele traurig. Sie wollen einen erneuerten und geänderten Sinn in ihrer Arbeit. Sie wollen soziale und zwischenmenschliche Verbindungen zu ihren Kollegen und Vorgesetzten. Sie wollen ein Gefühl der gemeinsamen Identität spüren.“
Motivation hängt von drei psychologischen Grundbedürfnissen ab
Natürlich wollen die Mitarbeiter gute Bezahlung, Sozialleistungen und Vergünstigungen, aber mehr als das wollen sie sich von ihren Organisationen geschätzt fühlen. Die McKinsey-Analyse kommt zu folgendem Schluss: Die „Große Zermürbung“ findet statt, sie ist weit verbreitet und wird wahrscheinlich bestehen bleiben, sich vielleicht sogar noch verstärken. Andreas Salcher ergänzt: „Vor allem dann, wenn Unternehmen von falschen Annahmen ausgehen und daher kontraproduktiv reagieren.“
So haben die Begründer der „Selbstbestimmungstheorie“ Richard M. Ryan und Edward L. Deci herausgefunden dass – entgegen der ursprünglichen Annahme – die Motivation für an sich interessante Tätigkeiten durch zusätzlich Anreize oder Belohnungen nicht nur nicht gesteigert wird, sondern im Gegenteil sogar zurückgeht. Andreas Salcher stellt fest: „Es zeigte sich ein kontraproduktiver Korrumpierungseffekt. Motiviation hängt offenbar von der Befriedigung von drei psychologischen Grundbedürfnisse ab: empfundene Handlungskompetenz, Autonomie und soziale Eigebundenheit, womit auch die Identifikation mit dem Unternehmenszweck gemeint ist.“ Quelle: „Die grosse Erschöpfung“ von Andreas Salcher
Von Hans Klumbies