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Ein unverstellter Körper führt zur Lust

Wo sich der menschliche Körper unverstellt zeigen darf, ist Lust. Ob er es darf, entscheidet jedoch nicht er alleine. Maßgebliche Teile des Selbst können beispielsweise der Überzeugung sein, dieser Körper sei niemanden zuzumuten. Oder körperlicher Kontakt sei grundsätzlich abzulehnen oder das eigene Selbst sei schlecht. Manfred Bauer weiß: „Stellt sich das Selbst – auf die eine oder andere Weise – quer, dann mag der Körper einem Adonis gleichen oder der Allegorie des Frühlings entsprechen: Lust wird sich nicht einstellen.“ Auch ein Fitnessstudio gestählter Körper wird seinem Besitzer dann, wenn das Selbst nicht mitspielt, im Bett keine Freude bereiten. Denn Lust ist dort, wo sich nicht nur der Körper, sondern auch das Selbst unverstellt zeigen darf. Prof. Dr. Med. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt.

Einem lustvollen Selbst ist der Körper egal

Joachim Bauer erläutert: „Einem lustvoll gestimmten Selbst ist es oft erstaunlich gleichgültig, ob der eigene Körper oder der des Gegenüber den jeweils herrschenden Schönheitsvorstellungen entspricht.“ Wenn das Selbst Lust hat, sich zu zeigen, dann stört es sich daran nicht im Geringsten, dass der Körper irgendwelchen Ansprüchen angeblich nicht genügt. Beginnend in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Körper im Allgmeinen und die Sexualität im Besonderen über mehr als hundert Jahre hinweg als eine ausschließlich durch biologische Mechanismen gesteuerte Maschine betrachtet.

Diese biologistische Schieflage war absolut verständlich und nachvollziehbar angesichts der enormen Fortschritte der Biologie. Gregor Mendel und Charles Darwin legten dabei die Grundlagen. Unbestreitbar sind der Körperbauplan, die Grundmuster des Metabolismus und das Geschlecht genetisch determiniert. Man hielt jedoch auch alles darüber Hinausgehende einschließlich Kondition, Charakter und Verhalten für genetisch vorbestimmt. Damit schien man ein wunderschönes, einfaches Modell zu haben.

Umwelt und Ernährung beeinflussen die Gene

Gene steuern danach den Metabolismus, dieser wiederum determiniert, wie sich der Körper entwickelt und welches Verhalten er zeigen wird. Seit Ende der 1980er Jahre war jedoch unübersehbar, dass Gene nicht nur steuern, sondern auch gesteuert werden. Dies geschieht nicht nur durch die Qualität der Umwelt und durch die Ernährung, sondern auch durch die Erfahrungen, die Lebewesen in ihrer Umwelt machen. Und durch die Art, wie sich ein Lebewesen seinerseits verhält.

Bei sozial lebenden Tieren und besonders beim Menschen zeigte sich, dass soziale Erfahrungen vom Gehirn ständig bewertet, in biologische Reaktionen umgewandelt werden und tief in den eigenen Körper hineinwirken. Das kann sogar zur Aktivierung oder Inaktivierung von Genen führen. Daher ändert sich der menschliche Körper unter dem Einfluss sozialer Erfahrungen – fortwährend, solange man lebt. Was sich jenseits körperlicher Grundmerkmale und des Geschlechts im Menschen entwickelt, unterliegt keiner Vorherbestimmung durch die Gene. Quelle: „Wie wir werden, wer wir sind“ von Joachim Bauer

Von Hans Klumbies

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