Emotionen legen die Moral fest
Verwandeln sich Menschen in bessere Wesen, wenn sie über Moral nachdenken? Das wollte der amerikanische Philosoph Eric Schwitzgebel überprüfen. Dazu verglich er das Verhalten von Moralphilosophen mit dem von Kollegen, die sich nicht professionell mit Ethik beschäftigen. Das Ergebnis ist auf den ersten Blick ernüchtern. Philipp Hübel stellt fest: „Ethiker spenden weder mehr Blut noch mehr Geld für gute Zwecke. Sie antworten nicht zügiger auf E-Mails und rufen auch ihre Mutter nicht häufiger an als andere Menschen.“ Mehr noch, in den Universitätsbibliotheken der Philosophischen Institute werden mehr als doppelt so oft Bücher zum Thema Ethik gestohlen als zu anderen philosophischen Disziplinen. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).
Die Vernunft hat keine Macht über die Emotionen
Jonathan Haidt, ein amerikanischer Professor für Psychologie, sieht darin den Beleg für seine These, dass Emotionen die Moral nicht nur beeinflussen, sondern vielmehr festlegen. Und dass die Vernunft keine Macht über diese Emotionen hat. In Jonathans Sinnbild geht der Elefant – die emotionale Intuition – stur seinen Weg. Der Reiter – die Vernunft – sitzt hilflos auf dem Rücken des Dickhäuters und redet sich und anderen ein, er gäbe die Kommandos. Jonathan Haidt nennt noch andere Beispiele für seinen Sentimentalismus, also die These, dass die Moral immer von den Emotionen abhängt.
So hat sein Kollege Scott Murphy buchstäblich den Advokaten des Teufels gespielt. Er hat Versuchspersonen gefragt, ob sie ihm für zwei Dollar seine Seele verkaufen. Philipp Hübl kennt das Ergebnis: „Nur 23 Prozent waren dazu bereit, was überrascht. Denn wenn wir eine unsterbliche Seele besäßen, wäre sie sicherlich unveräußerlich und vermutlich nicht an amerikanisches Vertragsrecht gebunden.“ Offenbar waren viele Probanden dennoch von einer unausgesprochenen Angst beeinflusst, ihre Seele zu verlieren.
Man kann Ekel und andere Emotionen überwinden
Murphy hat anschießend mit ihnen diskutiert und sie von der Nichtexistenz einer immateriellen Seele überzeugt. Danach ließen sich weitere 17 Prozent umstimmen. Jonathan Haidt und Scott Murphy folgern daraus, dass hier die Ängste stärker als die Vernunft sind. Der Reiter also machtlos auf dem Rücken des Elefanten sitzt. Tatsächlich zeigt das Ergebnis aber das Gegenteil: Es ist möglich, mit vernünftigen Überlegungen die irrationalen Abwehrreaktionen zu überstimmen.
Dass weniger als die Hälfte der Versuchspersonen dazu in der Lage war, spricht nicht für Jonathan Haidts Theorie der machtlosen Vernunft, sondern vielmehr gegen diese abergläubischen Probanden. Scheinbar kann man seine emotionsbasierten Urteile aktiv berichtigen, was inzwischen auch andere Untersuchungen nahelegen. Man kann Ekel und andere Emotionen überwinden, wenn es darauf ankommt. Philipp Hübl weiß: „Man kann trotz Flugangst in den Flieger steigen. Oder man kann tief durchatmen, wenn der Zorn in einem aufsteigt.“ Quelle: „Die aufgeregte Gesellschaft“ von Philipp Hübl
Von Hans Klumbies