Emotionen sind Weckrufe des Körpers
Menschen betrachten es oftmals als selbstverständlich, dass ein einzelner einen so ungeheuren Einfluss auf so viele andere nehmen kann. Tali Sharot schreibt: „Eine Idee kann, in Gestalt einer Rede, eines Songs oder einer Geschichte, Denken und Handeln von Millionen verändern.“ Aber wenn man innehält und darüber nachdenkt, ist es doch eine außerordentliche menschliche Fähigkeit, Ideen von einem Geist zum nächsten übermitteln zu können. Eine leidenschaftliche Rede zum Beispiel fesselt per definitionem die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer. Sie provoziert darüber hinaus bei allen Zuhörern ähnliche Reaktionen. Und das ungeachtet der Persönlichkeit und des Erfahrungsschatzes der Betreffenden. Dazu muss man wissen, dass eine emotionale Reaktion sich wie ein Weckruf des Körpers darstellt. Tali Sharot wurde an der New York University in Psychologie und Neurowissenschaften promoviert. Sie ist Professorin am Institut für experimentelle Psychologie der University of London.
Emotionale Geschichten fesseln die Zuhörer
Wenn etwas hoch Emotionales passiert, wird eine für die Signalgebung des Gehirns wichtige Region, die Amygdala, aktiviert. Tali Sharon erläutert: „Die Amygdala, ihrer Form wegen auch Mandelkern genannt, sendet dann an das übrige Gehirn eine Art „Wachsamkeitssignal“. Dieses verändert jede gerade laufende Aktivität mit einem Schlag.“ Alle Gehirne sind quasi vorprogrammiert. Sie reagieren auf emotionsauslösende Reize in mehr oder weniger ähnlicher Weise. Die sogenannte neuronale Kopplung ist die neuronale Grundlage dafür, dass Menschen sich untereinander verstehen.
Politikern, Künstlern und jedem, der eine Botschaft zu übermitteln hat, wird häufig geraten, auf Emotionen zu setzen. Damit kann er seine Zuhörerschaft in den Bann ziehen. Man hält das für eine Methode, Interesse zu wecken. Emotionale Geschichten oder Reden wirken packender und vermögen die Aufmerksamkeit besser zu fesseln. Fast alle Menschen wissen, dass Filme, Romane und Songs, die Emotionen auslösen, beliebter als andere sind. Außerdem gleichen Emotionen den physischen Zustand des Zuhörers dem des Redners an. Damit nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass der Zuhörer die ihm gebotene Information ähnlich wie der Sprecher verarbeitet.
Emotionen sind extrem ansteckend
Deshalb kann das Ansprechen von Emotionen einem Menschen helfen, seine Ideen zu kommunizieren und andere dazu zu bringen, seine Perspektive zu teilen, egal ob er nur mit einer Person redet oder vor Tausenden. Tali Sharot erklärt es mit anderen Worten: „Wenn ich glücklich bin und Sie traurig sind, ist es unwahrscheinlich, dass Sie und ich dieselbe Geschichte auf dieselbe Weise interpretieren. Aber wenn ich Ihnen zuerst helfen kann, genauso glücklich zu sein wie ich, vielleicht indem ich Ihnen einen Witz erzähle, werden Sie meine Botschaft wahrscheinlich eher so deuten wie ich.“
Die gute Nachricht an dieser Erkenntnis ist die Tatsache, dass Emotionen extrem ansteckend sind. Tali Sharon schaut sich für ihr Leben gern Olympische Spiele an. Das hat vor allem mit den Emotionen zu tun, die ihr da ungefiltert entgegenschlagen. Das reine Glück in den Augen der Frau, die soeben als Erste ins Ziel gelaufen ist, die Freudentränen des Schwimmers auf dem Siegerpodest. Ihr Glück ist ansteckend. Man kann nicht anders, als lächeln, wenn man die Gesichter auf dem Bildschirm sieht. Selbst die distanziertesten Menschen spüren, wie ihnen als Reaktion auf die Tränen von Gewinnern und Verlierern das Wasser in die Augen steigt. Quelle: „Die Meinung der anderen“ von Tali Sharot
Von Hans Klumbies