Erregung erhöht die Leistung des Gedächtnisses
Wenn ein Forscher sagt, eine Versuchsperson sei erregt, dann meint er, das Herzfrequenz, Schwitzen, Pupillendilatation und andere physiologische Indikatoren relativ zum Ruhezustand erhöht sind. Und es hat sich laut Julia Shaw gezeigt, dass das Erregungsniveau eines Menschen eine große Rolle für seine Fähigkeit spielt, Erinnerungen zu verschlüsseln, zu speichern und abzurufen. Eine Steigerung der Erregung geht zugleich mit einer Erhöhung der Gedächtnisleistung einher. Das ist stimmig. Denn wenn man an seine lebhaftesten Erinnerungen zurückdenkt, geht es meist um emotionale Ereignisse. Nun ist die Versuchung groß, vorschnell den Schluss zu ziehen, dass größere Erregung dabei hilft, Dinge zu behalten. Doch Julia Shaw schaut genauer hin und stellt fest: „Wenn wir übererregt und panisch sind, erscheint uns unser Kopf oft leer. Und deshalb vergessen wir Informationen, die wir andernfalls ganz leicht abrufen könnten.“ Die Rechtspsychologin Julia Shaw lehrt und forscht an der London South Bank University.
Das Gedächtnis entzieht sich manchmal der Kontrolle
Laut einer Theorie die Robert Yerkes und John Dodson schon 1908 entwickelt haben, wird die Leistung bei jeglicher Aufgabe mit steigender Erregung besser. Und zwar solange, bis ein bestimmter, optimaler Punkt erreicht ist. Jenseits dieses Punktes verschlechtert sie sich jedoch durch jede weitere Steigerung der Erregung. Dabei gehen die beiden Forscher davon aus, dass ein Mensch an den Extremen, also ganz ohne oder bei übermäßig starker Erregung, eine gegebene Aufgabe überhaupt nicht meistern kann. In einer Grafik lässt sich das als umgekehrte U-Kurve darstellen.
Julia Shaw hat eine Lieblingsverknüpfung zwischen Erregung und Gedächtnis. Eine Möglichkeit, die Assoziation von Erregung und Gedächtnis zu ihrem Vorteil zu nutzen, besteht darin, die sogenannte zustandsabhängige Erinnerung zu würdigen. Ein Phänomen, das wiederholt demonstriert und bestätigt wurde. Das bedeutet, dass man sich an Dinge besser erinnert, wenn man beim Abruf einer Erinnerung im gleichen Zustand ist wie bei ihrer Encodierung. Das Gedächtnis kann also nicht nur von unkontrollierbaren Faktoren der äußeren Umgebung beeinflusst werden. Es wirken auch weitgehend unkontrollierbaren Elemente der inneren Umgebung auf das Gedächtnis ein.
Das Gedächtnis ist für die Zeitwahrnehmung entscheidend
Julia Shaw ergänzt: „Ebenfalls von unserer Erregung und der emotionalen Verfassung abhängig ist unsere Zeitwahrnehmung. Wie wir alle wissen, verfliegt die Zeit scheinbar umso schneller, je erregter oder angeregter wir sind.“ Die innere Beteiligung an einer Aktivität wirkt sich deutlich darauf aus, wie man sie zeitlich in Erinnerung hat. Viel zu oft glaubt man, man hätte ein magische innere Uhr, die einem in relativ objektiver Weise die Zeit anzeigt. Manchmal als die vierte Dimension bezeichnet, ist die Zeit etwas, das man als primär inneres Phänomen betrachten kann.
Die Zeit ist charakterisiert durch Linearität, Sequenzialität und Veränderung, Vermehrung oder Vernichtung. Die subjektive Zeitwahrnehmung hat der Gedächtnisforscher Endel Tulving als „chronesthesia“ bezeichnet. Sie wird von Wissenschaftlern in so unterschiedlichen Bereichen wie Neurophysiologie, Psychologie und Philosophie untersucht. All diese Fachrichtungen kamen zu dem Ergebnis, dass das Gedächtnis für die Fähigkeit der Wahrnehmung der Zeit entscheidend ist. Quelle: „Das trügerische Gedächtnis“ von Julia Shaw
Von Hans Klumbies