Es fehlt an Empathie mit der Welt der Natur
Wirklich berührt wird der Mensch nur von etwas, zu dem er in Resonanz kommen kann, von etwas, mit dem er in Beziehung steht, von etwas, das er fühlt. Joachim Bauer erklärt: „Daher wird der Appell zur ökologischen Wende, wenn er sich in einer repetitiven Belehrung über die – ohne jede Frage katastrophalen – Zahlen über den ökologischen Absturz unseres Planeten erschöpft, keinen Elan erzeugen.“ Die Reaktionsträgheit, die man seit Jahren beobachtet – und die Greta Thunberg und die Ihren mit Recht so wütend macht –, hat ihren Grund in der zivilisatorischen Entfremdung des Menschen von seinen Gefühlen, von der Verbundenheit mit seinen Mitmenschen und von der Empathie mit der Welt der Natur. Nicht nur Ressourcen und Produkte, unser gesamtes Leben wurde, wie die renommierte Philosophin Martha Nussbaum es ausdrückte, dem ökonomischen Kalkül unterworfen. Prof. Dr. Med. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt.
Die Welt der Kultur betrachtet den Menschen nicht als Objekt
Weil alles nur noch berechnenden Kosten-Nutzen-Kalkülen unterworfen ist, hat sich dem auch die Selbst- und Fremdwahrnehmung des Menschen angepasst. Joachim Bauer stellt fest: „Zu bewerten und bewertet zu werden hat sich zu einer zivilisatorischen Obsession entwickelt, von der Erziehung bis zur Arbeitswelt, vom Small Talk bis zu den Foren des Internets.“ Die Folgen sind ein schlechtes Lebensgefühl, Angst, Zynismus, Depression und Störungen der seelischen und körperlichen Gesundheit.
Ohne es zu wollen, hat man die Klimadebatte mit einem gefühlslosen Modus der Kommunikation infiziert. Wie soll sich vor einem derartigen Hintergrund ein von Empathie und Liebe zu Welt der Natur getragenes Momentum entwickeln? Joachim Bauer weiß: „Der Gegenentwurf zu einer Welt, in der Menschen zu Objekten gemacht, bewertet und manipuliert werden, ist die Welt der Kultur. Was die kulturellen Möglichkeiten eines Landes ausmacht, sind Feiern, alle Formen von Musik, Sport, Tanz, Theater, Kino, Oper, Museen und Ausstellungen und sicher noch manch anderes.“
Die Kultur kann den entleerten Innenraum des Menschen füllen
Zur Kultur zählen auch die Kochkunst und – nicht zu vergessen – die Bildungseinrichtungen eines Landes. Joachim Bauer fügt hinzu: „Die Kultur macht den Menschen zum Subjekt, sie lässt ihn sein, wie er oder sie ist. Sie gibt ihm die Möglichkeit, seinem Denken oder Mitdenken, seinem Fühlen oder Mitfühlen, seiner Phantasie, auch durch sein Tun im Sinne von Mitmachen Ausdruck zu verleihen.“ Es ist die Kultur, die den durch zivilisatorischen Stress entleerten Innenraum des Menschen füllen kann.
Wenn die innere Leere des Subjekts, wie es Daniele Giglioli ausdrückte, durch kein Objekt gefüllt werden kann: Kultur kann es! Joachim Bauer erläutert: „Sie ist die Ressource, sie ist der Stoff, aus dem gemacht wird, was wir Selbst und Identität nennen. Kultur bringt Menschen physisch zusammen, sie lässt den Menschen auch dann Gemeinschaft fühlen, wenn er ganz für sich alleine Kunstprodukte genießt.“ Quelle: „Fühlen, was die Welt fühlt“ von Joachim Bauer
Von Hans Klumbies