Es gibt ein Prinzip der verzögerten Kritik
Junge Menschen wünschen sich, dass man ihnen vorurteilsfrei zuhört, sich in ihre Lage versetzt und ihre Ideen erst nach eine längeren Nachdenkzeit beurteilt. Andreas Salcher weiß: „Dieser Ansatz ist keineswegs neu, sondern entspricht dem Prinzip der verzögerten Kritik. Jenes wurde vom Erfinder des Brainstormings, dem Mitbegründer der Werbeagentur BDO – heute BBDO – Alex Faickney Osborn bereits 1938 definiert.“ Er entwickelte das Brainstorming – Gehirnsturm –, die am häufigsten und am häufigsten falsch angewendete Kreativitätsmethode. Brainstorming ist nicht, wenn sich einige Leute zusammensetzen und jeder sagt, was ihm gerade einfällt. Falsch eingesetzt führt Brainstorming zu enttäuschenden und vor allem konventionellen Ergebnissen. Dr. Andreas Salcher ist Mitgebegründer der „Sir Karl-Popper-Schule“ für besonders begabte Kinder. Mit mehr als 250.000 verkauften Büchern gilt er als einer der erfolgreichsten Sachbuchautoren Österreichs.
Beim Brainstorming ist jede Idee prinzipiell erlaubt
Alex Faickney Osborn hat jahrelang Sitzungen analysiert und dabei die Hauptursachen für die Blockierung der Kreativität gefunden. Diese stimmen in verblüffender Weise mit der Kritik der Jungen von heute an der vorschnellen Bewertung ihrer Ideen überein. Andras Salcher ergänzt: „Osborn schlug einen Prozess vor, der diese Hemmnisse durch strenge Regeln ausschalten, innerhalb jener Regeln aber Raum für maximale gedankliche Freiheit schaffen sollte.“
Der Mensch neigt dazu, mit anerkannten Vorstellungen übereinzustimmen. Darum ist jede Idee prinzipiell erlaubt, auch wenn sie scheinbar überhaupt nichts mit der Problemstellung zu tun hat. Zudem tendieren Menschen zu vorschnellen Urteilen, daher ist während des Prozesses jede Form von Kritik verboten. Andreas Salcher fügt hinzu: „Der Mensch hat die Neigung zur Furcht, sich lächerlich zu machen, deswegen gibt es keine Sanktionen für „dumme Ideen“ oder „blöde Bemerkungen“. Sie sind sogar ausdrücklich erwünscht.“
Brainstorming findet in einem hierarchiefreien Raum statt
Viele Menschen fürchten Tadel und Kritik von Vorgesetzten. Darum findet Brainstorming in einem hierarchiefreien Raum statt, wo weder formale Position noch Erfahrung eine Rolle spielen. Der Mensch hat auch Angst davor, dass eigene gute Ideen gestohlen werden, deshalb gibt es kein Besitzrecht an Ideen, die Gruppe agiert als Ganzes. Andreas Salcher vermutet: „Das Prinzip der verzögerten Kritik könnte ein hilfreiches Werkzeug sein, um den Dialog zwischen den Generationen in produktive Bahnen zu lenken.“
Denn es gibt ein natürliches Spannungsfeld zwischen schöpferischer Fantasie und kritisch-rationalem Urteilsvermögen. Andreas Salcher erläutert: „In der Kindheit und Jugend ist vor allem das affektive, kreative Potenzial gut ausgeprägt, während mit zunehmendem Lebensalter aufgrund von Erfahrungen das kritische Urteilsvermögen zunimmt.“ Das bedeutet nicht, dass ältere Menschen nicht kreativ und junge nicht kritisch gegenüber ihren eigenen Ideen sein können. Es herrscht aber eine unterschiedliche Ausprägung jener Fähigkeiten. Denn Erfahrung kann hinderlich sein, um neue Dinge zu erkennen, aber auch notwendig, um nicht gegen die erste Mauer zu krachen. Quelle: „Unsere neue beste Freundin, die Zukunft“ von Andreas Salcher
Von Hans Klumbies