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Genugtuung hat mit Rehabilitierung zu tun

„Sie müssen mir volle Genugtuung leisten“, lautet eine mehr oder weniger unverblümte Rachedrohung. Reinhard Haller erläutert: „Diese spricht weniger den Wunsch nach Strafe und Wiederherstellung der Gerechtigkeit an, als vielmehr den Lustaspekt und gleichzeitig die letzte gemeinsame Strecke: Das Erlangen von Genugtuung.“ Genugtuung hat mit Rehabilitierung, Wiederherstellung des eigenen Rufes, Eigenstärkung und Befriedigung zu tun, weniger mit gestilltem Aggressionstriebe und Machtbedürfnissen. Fast alle Menschen wissen aus eigener Erfahrung, dass Rache zumindest im Augenblick guttut, vor allem, wenn sie das eigene Gerechtigkeitsgefühl befriedigt und den ramponierten Selbstwert stärkt. Allerdings kommt sofort die Frage auf, ob dieses als positiv erlebtes Gefühl von Dauer ist, ob die eigene Welt durch die Rache wieder kontrollierbarer ist und ob das Selbstwertgefühl anhaltend gehoben werden konnte. Prof. Dr. med. Reinhard Haller war als Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe über viele Jahre Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Heute führt er eine fachärztliche Praxis in Feldkirch (Österreich).

Das Wohlgefühl bei der Rache resultiert aus dem Leid anderer

Reinhard Haller stellt fest: „Die Fragen, ob das eigene Racheverhalten nicht primitiv und unangebracht war, ob es wirklich keine andere Konfliktlösung als eine Racheaktion gegeben hätte und ob jetzt tatsächlich der Gerechtigkeit Genüge getan sei, lässt einen Rächer mit normaler emotionaler Ausstattung jedenfalls nie richtig los.“ Denn eigenes Wohlgefühl resultiert in einem solchen Fall aus dem Leid anderer. Die Zufriedenheit nicht ein wie bei der Vergebung aus eigener Leistung, sondern geht auf Kosten Dritter.

Dadurch bekommt das Gefühl der Genugtuung einen bitteren Beigeschmack. Reinhard Haller erklärt: „Der Glaube an eine gerechte Gesellschaft beruht auf der Vorstellung des Lebens in einer Welt, in der jeder das bekommt, was er verdient – sowohl im Positiven als auch im Negativen.“ Da diese Einstellung nicht nur für das Aufrechterhalten einer stabilen und harmonischen Weltordnung verantwortlich ist, sondern auch für die Tendenz zur Schuldzuweisung an jene, die für die Verunsicherung verantwortlich gemacht werden, bildet sie eine Wurzel der Rache.

Gerechtigkeitsempfinden gehört zu den heikelsten psychischen Funktionen

Wenn der Glaube an eine gerechte Welt ausschließlich mit Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit und rascher Bewältigung emotionaler Stressfaktoren verbunden ist, erklärt das am besten den der Rache innewohnenden Wunsch nach Genugtuung. Reinhard Haller vermutet: „Die wahrscheinlich wichtigste Wurzel von Rachegefühlen und -gedanken liegt in der Verletzung des Gerechtigkeitsgefühls.“ Diese ist tief in der menschlichen Psyche verankert und eine wesentliche Voraussetzung für ein positives Selbstbild.

So gehört Gerechtigkeitsempfinden zu den heikelsten psychischen Funktionen, und Gerechtigkeit gehört zu den wichtigsten menschlichen Werten. Reinhard Haller fügt hinzu: „Sie gilt in den meisten Religionen als göttliche Eigenschaft und wird als Grundlage jedes funktionierenden Staatssystem gesehen.“ Platon bezeichnete sie als wichtigste aller Tugenden, da sie die drei übrigen Kardinaltugenden – Tapferkeit, Besonnenheit, Weisheit – in sich vereine und sogar Vorrausetzung für ein glückliches Leben jedes Einzelnen und aller Gemeinschaften sei. Quelle: „Rache“ von Reinhard Haller

Von Hans Klumbies

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