Allgemein 

Gestresste Kinder lernen nicht

Die Forschung über Autoritarismus hat die möglichen Schutzwirkungen von Bildung inzwischen ziemlich genau untersucht. Und auf den ersten Blick sehen die Befunde nicht einmal schlecht aus. Menschen mit höherem Bildungsgrad sind im Durchschnitt – wenn auch in eher bescheidenem Ausmaß – tatsächlich weniger rechtsautoritär geneigt. Herbert Renz-Polster fügt hinzu: „Insbesondere ein Universitätsstudium geht in manchen Ländern, auch in Deutschland, mit einer geringeren Neigung zu Vorurteilen und Ausgrenzung einher.“ Die Autoritarismusforscherin Susanne Rippl gibt schränkt ein: „Für sich allein reicht Bildung als Faktor zur Prävention gegenüber Vorurteilen nicht aus. Entscheidend seien vielmehr die Einflüsse der Gesellschaft drumherum.“ So hat zum Beispiel in Ägypten das Bildungsniveau überhaupt keinen Einfluss auf soziale Vorurteile. Der Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster hat die deutsche Erziehungsdebatte in den letzten Jahren wie kaum ein anderer geprägt.

Kinder müssen Mündigkeit lernen

Was passiert, wenn sich Menschen in einer Gesellschaft wie Ägypten einig sind, dass Juden und Homosexuelle schlechte Menschen sind? Dann spricht ein hochgebildeter Arzt genauso schlecht über sie wie ein Analphabet. Warum ist das so? Wenn etwas gegen Vorurteile und Ausgrenzung hilft, dann ist es die gelungene menschliche Entwicklung. Herbert Renz-Polster weiß: „Schutz vor Hass bildet sich dort, wo Kinder lernen, anderen Menschen angstfrei, empathisch und zugewandt zu begegnen.“

Schutz vor Hörigkeit bildet sich dort, wo Kinder Mündigkeit lernen. Indem sie mitsprechen dürfen, indem sie selbstbewusst und sozial kompetent werden. Bildung allein kann dennoch wenig gegen die Verlockungen des Rechtspopulismus ausrichten. Kinder brauchen vielmehr die Fähigkeit, mit ihren Impulsen und Emotionen klarzukommen. Zudem müssen sie lernen, sich in andere hineinzuversetzen und Durchhaltevermögen zu entwickeln. Ohne diesen Haftgrund bleibt die Bildung nicht hängen. Ganz entscheidend ist die Fähigkeit zur Aufnahme von Bildung.

Bindung und Entwicklung kommen vor Bildung

Kinder, denen es bei ihrer Entwicklung nicht gut geht, kommen deshalb auch auf ihrem Bildungsweg nicht weiter. Herbert Renz-Polster stellt fest: „Gestresste Kinder lernen nicht, so einfach und brutal ist die Formel. Solche Kinder sind wie mit Teflon überzogen – selbst das ausgefeilteste Angebot perlt an ihnen ab.“ Und damit ist man bei einer bis heute bestehenden Gemeinheit angelangt. Dieser Haftgrund für Bildung entsteht nämlich vor allem außerhalb der Bildungseinrichtungen. Und dort vor allem in der Familie.

In diesem ersten Bildungsnetz legt das Kind seine wichtigsten Vorräte für seinen Bildungsweg an. Und die Bildungsforschung bestätigt das. Das Elternhaus ist der entscheidende Chancenvermittler. Wer mit guten Bildungsvoraussetzungen in die Kita kommt, wird diese mit guten Bildungsvoraussetzungen für die Schule verlassen. Und wiederum aus Letzterer mit guten Bildungsvoraussetzungen für seine weitere Ausbildung hervorgehen. Anders ausgedrückt: Bindung und Entwicklung kommen vor Bildung. Quelle: „Erziehung prägt Gesinnung“ von Herbert Renz-Polster

Von Hans Klumbies

Related posts

Leave a Comment