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Grausamkeit ist die Vernichtung eines Menschen

Wolfgang Müller-Funk stellt fest: „Grausamkeit bedeutet innerhalb des Phänomenenkomplexes von Gewalt und Aggression nicht einfach eine nur quantitative Steigerung der Leidzufügung. Sondern sie ist womöglich die ultima ratio der Macht- und Gewaltausübung, in der die Auslöschung als Drohung inszeniert wird, um die Anderen gefügig zu machen oder ein Schauspiel in Gang zu setzen, das einen als Zuschauer an der Todesangst der Anderen teilhaben lässt.“ Grausamkeit ist die Vernichtung eines Gegenübers vor dessen/deren physischer Zurichtung, die aus ihm/ihr ein totes Ding macht, über das der Grausame absolute Verfügungsgewalt hat. Es sind ganz bestimmte Voraussetzungen, in denen die Aggression als normal erscheint. Wolfgang Müller-Funk war Professor für Kulturwissenschaften in Wien und Birmingham und u.a. Fellow an der New School for Social Research in New York und am IWM in Wien.

Aggression sorgt für möglichst absolute Sicherheit

Zum Beispiel als Ausweis männlicher Identität, als notwendiger Antrieb in einer Welt, die von Polarität und Binarität bestimmt ist und in der der jeweilige ideologische, religiöse oder ethische Antipode zum Dämon avanciert. Dieser verdient kein Mitleid. Die Aggression dient dann als wirksames Mittel, eine möglichst absolute Sicherheit zu erlangen, die nicht nur auf das blanke Leben, sondern wie im Fall des Machthabers auf die Sicherung seiner Stellung hinausläuft.

Dabei entsteht ein Machtrausch, den anderen „fertig“ zu machen. Wolfgang Müller-Funk erläutert: „Das Opfer, jene vormoderne Form kollektiver regulierter Gewalt, ist insofern ein erhellendes Beispiel, weil es René Girard zufolge das sozietäre Einverständnis nicht nur voraussetzt, sondern gleichsam – im Akt ritueller Wiederholung – wiederherstellt und garantiert, schon allein dadurch, dass alle Menschen einer sozialen Gemeinschaft, wenn auch in verschiedenen Rollen, an dem kollektive Gewaltakt beteiligt sind.“

Die Demokratie zeichnet sich durch ein kompliziertes Regelwerk aus

Totalitäre Regime lassen sich dadurch charakterisieren, dass sie systematisch auf Gewaltzufügung, Grausamkeit, Strafe und Lebensbedrohung aufgebaut und ausgelegt sind. Wolfgang Müller-Funk ergänzt: „Liberale Demokratien versuchen – etwa durch das Gewaltmonopol – Gewalt zu kanalisieren, einzuschränken und sie als Ausnahmefall zu regeln. In diesem Sinne ermöglichen sie paradoxerweise Freiräume durch Einschränkung von Handlungen, die mit Gewaltandrohung und -ausübung verbunden sind.“ Die Zivilgesellschaften verdanken sich eben nicht allein einer historischen volonté generale, sondern vor allem der Erfahrung grausamer Bürger- und Religionskriege, aber auch des Terrors von Revolution und Gegenrevolution.

Ihren menschenrechtlichen Kern bildet die Sicherheit vor staatlicher Willkür und Gewalt. Nichts spricht mehr für den Skeptizismus, der sich hinter dem komplizierten Regelwerk der Demokratie verbirgt, als die zeitliche und räumliche Beschränkung der Machtausübung durch Gewaltenteilung und die zeitliche Begrenzung von politischen Ämtern. Wolfgang Müller-Funk erklärt: „Grausamkeit ist der Triumph einer Macht, die den Potentaten ein für alle Mal vor allen zukünftigen Anschlägen zu bewahren scheint; die Exekutierung sämtlicher bedrohlicher Konkurrenten ist, Horizont und Realität, phantasmatische Bestätigung uneingeschränkter Macht. Quelle: „Crudelitas“ von Wolfgang Müller-Funk

Von Hans Klumbies

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