Hass ist eine dunkle Leidenschaft
Der schweizerisch-amerikanische Psychoanalytiker Léon Wurmser (1931 – 2020) sieht im Hass eine „Kompromissbildung mannigfacher innerer Kräfte“, gleichsam ein „Konvolut psychischer Momente“. Zentral sei dabei die Missachtung der Würde des anderen, etwa durch äußere Beschämung oder Verachtung. Reinhard Haller ergänzt: „Scheinbar sinnlose Hassgefühle treten auf, wenn die psychologischen Triebe wie Wollen, Sehnen, Begehren oder Entscheidenkönnen massiv blockiert werden.“ Letztlich – so auch Léon Wurmser – gehe es dem Hass immer um Zerstörung. Hass, dieser Trieb zur Grausamkeit, diese dunkle Leidenschaft, dieser kalte Emotionskomplex, entwickelt sich meist aus alltäglichen Situationen heraus. Er ist nicht spektakulär, aber für das Leben des Einzelnen viel bedeutender als die großen Hassexzesse und Hassverbrechen. Prof. Dr. med. Reinhard Haller war als Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe über viele Jahre Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Heute führt er eine fachärztliche Praxis in Feldkirch (Österreich).
Resonanz fördert Selbstbewusstsein und Vertrauen
Reinhard Haller weiß: „Die Wurzeln des jedem bekannten Hasses liegen im individuellen inneren Erleben, in der zwischenmenschlichen Begegnung, im Menschlichen. Allerdings werden die allgegenwärtigen Hassauslöser – zu denen fehlende oder zu geringe Positivresonanz, die manchmal zu neurotischen Störungen führenden Enttäuschungen sowie alle Arten der Kränkungen zählen – wenig beachtet und allgemein unterschätzt.“ Resonanz ist das empathische Mitschwingen mit den Gefühlen oder Gedanken anderer. Eine Antwort auf etwas, was ausgesandt worden ist.
Resonanz ist Senden um Empfangen, sie strebt nach Gleichklang. In der zwischenmenschlichen Beziehung kann sie jedoch zu wechselseitigen Verstärkungen sämtlicher emotionaler Schwingungen führen, auch der negativen, auch der ablehnenden und der hassvollen. Reinhard Haller stellt fest: „Positive Resonanz ist eine bestärkende psychische Kraft ersten Ranges. Richtig eingesetzt fördert sie Selbstbewusstsein und Vertrauen, verbessert Einstellung und Resilienz, befeuert die Motivation und ist ein nicht unwesentlicher Glücksfaktor.“
Zeitlebens hofft der Mensch auf Wertschätzung und Vertrauen
Wird dieser emotionale Verstärker, dessen höchste Form die Liebe ist, dem Menschen vorenthalten, reagiert er mit Enttäuschung, Zweifel, Minderwertigkeitsgefühl, Versagensangst und Depressivität. Reinhard Haller betont: „Emotionale Zuwendung, sei es durch das Lächeln der Eltern, den liebevollen Zuspruch der Angehörigen, durch Zärtlichkeiten und Aufmunterungen, ist für jeden Menschen von enormer Wichtigkeit.“ In der Erziehung gehören Anerkennung, Aufmunterung und Lob zu den wichtigsten, leider allzu oft nicht genutzten Methoden.
Für Menschen im reifen Alter und in späteren Lebensphasen sind Respekt und würdevolle Begegnungen bedeutend. Zeitlebens hofft der Mensch auf Wertschätzung und Vertrauen. In letzter Konsequenz geht es immer um die Liebe. Bleibt dem menschlichen Wesen die Positivresonanz versagt oder wird sie ihm durch mangelnde Aufmerksamkeit, Diffamierung, Entwertung oder Verachtung entzogen, reagiert es zunächst panisch. Reinhard Haller fügt hinzu: „Bleibt sein Verlangen nach den positiven Zuwendungen längere Zeit unerfüllt, ist es enttäuscht und verunsichert, verfällt in Versagensangst und Resignation.“ Quelle: „Die dunkle Leidenschaft“ von Reinhard Haller
Von Hans Klumbies