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Der Optimierungszwang erreicht das Private

Ingo Hamm macht sich nichts vor: „Freizeit ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Noch unsere Eltern erholten und entspannten sich gut in ihrer Freizeit. Nach Feierabend legte man die Beine hoch oder vergnügte sich gesellig – totales Abschalten.“ So erfanden etliche Industriekonzerne für ihre Mitarbeiter bereits vor Jahrzehnten sogenannte Feierabendhäuser. Diese dienten ausschließlich zur Bespaßung und Rekreation der ausgelaugten Belegschaft. Und zwar nach Feierabend und schon während der Arbeit. Essenssaal statt Espressomaschine, Konzert statt Kicker. Aber das ist vorbei. Dem Optimierungszwang sind viele Menschen nicht mehr nur am Arbeitsplatz ausgesetzt, sondern seit Jahren intensiv auch im Privaten. Wenn man zum Beispiel joggt, dann muss es mit Puls-Uhr und Lauf-App sein. Dr. Ingo Hamm ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Darmstadt.

Apps vermessen sogar den Schlaf

Viele Menschen brauchen keinen Sklaventreiber mehr. Sie treiben sich selber an und nennen die massenhafte Zwangsneurose euphemistisch „Selbstoptimierung“. Wenn eine auf Abwertung gepolte Gesellschaft von unseren Eltern verlangt hätte, dass sie sich auch noch nach Feierabend weiter optimieren, hätte Papa wohl gesagt: „Ich hol mir erst mal ein Bier aus dem Keller – danach sehen wir weiter!“ Wir aber sagen: „Ich muss besser werden!“ Selbst vor dem letzten Zufluchtsort des durchoptimierten Menschen macht die Industrialisierung nicht Halt.

Es gibt auch Apps, die den Schlaf vermessen und den Anwender morgens Sekunden nach dem Aufwachen ermahnen, dass er auch in dieser Nacht lediglich nur wieder zweit volle REM-Zyklen geschafft hat: Das muss besser werden! Millionen Menschen, die nachts schlecht schlafen und sich in den zerwühlten Laken wälzen, kaufen quartalsweise neue Matratzen – allein die Matratzen-Werbung ist ein Millionenmarkt geworden. Sie wechseln die Matratzen aus wie andere Leute die Oberhemden – anstatt sich einen Job zu suchen, der sich nachts nicht mit quälenden Gedanken wachhält.

Die Selbstoptimierung ruiniert einen Menschen geistig und körperlich

Ingo Hamm warnt: „Die Industrialisierung des Individuums ruiniert uns geistig und körperlich.“ Oder wie ein Hausarzt das ausdrückt: „Das wirft den stärksten Hünen um. Das hält kein Mensch im Kopf nicht aus!“ Diese ganze irre Überforderung auch und gerade des Privaten, diesen immensen gesellschaftlichen Druck, diesen erdrückenden Peer Pressure hält ein Mensch nur aus, wenn er dem ganzen Wahnsinn einen Sinn zuschreibt. So viel Quatsch und Selbstoptimierung hält kein Mensch aus, dem man nicht sagt, warum und wozu das Ganze.

In der Arbeitswelt kursiert in allen Branchen schon seit Jahrzehnten der Spruch: „Bei uns machen heute drei Kollegen die Arbeit, die früher fünf gemacht haben.“ Was immer noch Heiterkeit auslöst – und unter Garantie die Reprise eines Naseweisen: „Da habt ihr ja noch Glück gehabt! Bei uns sind es nur noch zwei!“ Nicht umsonst wurde der Modebegriff der „Work-Life-Balance“ geprägt und kurz nach seiner Einführung der Lächerlichkeit preisgegeben: Nichts hat sich geändert. Quelle: „Sinnlos glücklich“ von Ingo Hamm

Von Hans Klumbies

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