Allgemein 

Der Zweifel am eigenen Ich ist allgegenwärtig

Der Begriff des Stresses ist nichts anderes als ein Code dafür, dass man viele Menschen von klein auf vermisst, vergleicht und auf ihre Tauglichkeit, Leistungsfähigkeit und Geschwindigkeit hin prüft. Joachim Bauer stellt fest: „Die existenzielle Frage, die uns, dem modernen, entfremdeten Menschen heute den Schlaf raubt, ist nicht – die eigentlich wichtigste aller Fragen –, wer wir sind, sondern ob wir gut genug sind.“ Der Zweifel an der eigenen Person, der den Kern der Entfremdung ausmacht, trifft einen Menschen nicht nur von außen, er sitzt auch in seinem Inneren. Denn die meisten Menschen haben die Maßstäbe der äußeren Welt verinnerlicht, obwohl sie ihnen das Leben oft genug nur zur Qual machen. Prof. Dr. Med. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt.

Der Gang in die Höhle des Löwen kann zu einem Burnout führen

Die Natur hat gegen die Not des modernen Menschen ein Angebot parat. Sie ist insoweit empathisch und gibt den Menschen damit Grund, zu sich selbst empathisch zu sein. Joachim Bauer erklärt: „Der Zweifel, der von außen und vom eigenen Inneren her an uns nagt, bewirkt, dass wir uns klein und schlecht fühlen. Im Bemühen, dieser Situation zu entkommen, neigt der Mensch zu Reaktionen, von denen einige den Nachteil haben, dass sie das subjektive Lebensgefühl weiter verschlechtern und schließlich krank machen.“

Eine der Reaktionsweisen ist der Gang in die Höhle des Löwen. Damit meint Joachim Bauer den Versuch, sich den gestellten Anforderungen mit allen Kräften gewachsen zu zeigen und dabei bis an die Grenze der eigenen Leistungsfähigkeit zu gehen. Menschen, die diesen Weg wählen, landen, wenn die Kräfte erschöpft sind, im Burnout oder in einer Depression. Joachim Bauer fügt hinzu: „Sie werden oft auch psychosomatisch krank und erleiden stressbedingte körperliche Erkrankungen.“

Einsamkeit verkürzt die Lebenszeit

Ein anderer, alternativer Modus ist der Rückzug, geleitet von der Hoffnung, dass man, wenn man andere nicht an sich heranlässt, auch weniger gesehen und – schlecht – bewertet wird. Abgesehen davon, dass diese Rechnung nicht immer aufgeht, bezahlt man den sozialen Rückzug mit dem Preis der Einsamkeit. So verständlich das Motiv, die eigenen Nerven schonen zu wollen, auch ist. Auch die Einsamkeit ist mit einem stark erhöhten Erkrankungsrisiko verbunden und verkürzt die Lebenszeit.

Ein dritter Modus ist der Versuch, das als zu klein und unbedeutend erlebte, gepeinigte Selbst aufzublasen. Joachim Bauer erläutert: „Der quälenden Verwundbarkeit und Vergänglichkeit des Menschen wird mit aller Macht der Gegenentwurf eines aufgeblasenen Größen-Selbst entgegengestellt.“ Narzisstische Menschen versuchen, ihre Mitmenschen zu unterwerfen und sich die gesamte übrige Realität so zurechtzubiegen, dass sie zu dem grandiosen Selbstbild passt.“ Quelle: „Fühlen, was die Welt fühlt“ von Joachim Bauer

Von Hans Klumbies

Related posts

Leave a Comment