Psyche und Physis leiden unter der Angst
Angst beeinflusst Psyche und Physis in vielfältiger Weise. Jonathan Haidt nennt Beispiele: „Viele spüren Angst als Spannung oder Engegefühl in Bauch und Brusthöhle. Emotional wird Angst als Schrecken, Sorge und nach einer Weile als Erschöpfung wahrgenommen.“ Was kognitive Prozesse angeht, so erschwert Angst oft das klare Denken und führt zu unproduktivem Grübeln; dies verursacht dann die kognitiven Verzerrungen, auf die sich die Kognitive Verhaltenstherapie (CBT) konzentriert, beispielsweise Schwarzmalerei, zu starke Verallgemeinerung und Schwarz-Weiß-Denken. Bei Menschen mit Angststörungen lösen diese verzerrten Denkmuster oft unangenehme körperliche Symptome aus, die dann wiederum Gefühle von Furcht und Sorge indizieren, und diese lösen weitere ängstliche Gedanken aus – ein Teufelskreis. Jonathan Haidt ist Professor für Sozialpsychologie an der New York University. Seine Forschungsschwerpunkte sind die psychischen Grundlagen von Moral, moralische Emotionen und Moralvorstellungen in verschiedenen Kulturen.
Die zweithäufigste Erkrankung bei Jugendlichen ist die Depression
Jonathan Haidt weiß: „Die zweithäufigste Erkrankung bei jungen Leuten unserer Tage ist die Depression. Die wichtigste psychiatrische Kategorie hier ist die schwere depressive Störung oder kurze schwere Depression.“ Die beiden Schlüsselsymptome sind eine depressive Verstimmung – ein Gefühl von Traurigkeit, Leere, Hoffnungslosigkeit – und ein Verlust an Interesse beziehungsweise Freude an fast allen Tätigkeiten. „Wie ekel, schal und flach und unersprießlich erscheint mir das ganze Treiben dieser Welt!“, meint Hamlet, nachdem er kurz zuvor Gottes Verbot des „Selbstmords“ beklagt hat.
Damit eine Major Depressive Disorder (MDD) diagnostiziert wird, müssen diese Symptome mindestens zwei Wochen lang durchgängig anhalten. Jonathan Haidt ergänzt: „Sie gehen oft mit körperlichen Symptomen einher, darunter signifikanter Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme, deutlich mehr oder weniger Schlaf als normal sowie Erschöpfung.“ Zudem werden sie oft von kognitiven Problemen begleitet, wie die Unfähigkeit, sich zu konzentrieren.
Eine spielbasierte Kindheit stärkt positive Beziehungen
Dazu kommt eine ständige Beschäftigung mit eigenen Verstößen oder Verfehlungen – was zu Schuldgefühlen führt – und den vielen anderen kognitiven Störungen, denen die CBT entgegenzuwirken versucht. Jonathan Haidt fügt hinzu: „Menschen, die unter einer depressiven Störung leiden, denken oft an Suizid, weil sie das Gefühl haben, ihr gegenwärtiges Leiden werde nie enden, und der Tod ist ein Ende.“ Ein wichtiges Merkmal der Depression ist ihre Verbindung zu sozialen Beziehungen.
Das Risiko für Depressionen steigt, wenn jemand sozial isoliert ist – oder das Gefühl hat, es zu sein – und aufgrund seiner psychischen Verfassung weniger interessiert oder in der Lage ist, soziale Beziehungen einzugehen. Wie bei der Angst ist dies ein Teufelskreis. Daher schenkt Jonathan Haidt Freundschaft und sozialen Beziehungen in seinem Buch „Generation Angst“ große Aufmerksamkeit. Dabei stellt sich heraus, dass eine spielbasierte Kindheit solche positiven Beziehungen stärkt, während eine smartphonebasierte Kindheit sie schwächt. Quelle: „Generation Angst“ von Jonathan Haidt
Von Hans Klumbies