Konstruktiver Streit fördert die Kreativität
Die Fähigkeit konstruktiv zu streiten, macht Menschen nicht nur zivilisierter; sie fördert auch die Entwicklung ihrer kreativen Muskeln. Adam Grant nennt ein Beispiel: „So zeigte eine klassische Studie, dass hochkreative Architekten eher als ihrer technisch kompetenten, aber weniger originellen Kollegen aus Elternhäusern stammten, in denen es viele Spannungen gegeben hatte.“ Sie wuchsen oft in Haushalten auf, in denen „Spannungen herrschten, sie sich aber sicher fühlten“. Der Psychologe Robert Albert schreibt: „Die zukünftige kreative Person stammt aus einer Familie, die alles andere als harmonisch ist, sondern eine, in der es hakelt.“ Die Eltern waren weder gewalttätig noch auffällig, doch sie scheuten sich nicht vor Konflikten. Adam Grant ist Professor für Organisationspsychologie an der renommierten Wharton Business School. Seine Forschungsbeiträge im Bereich Motivation und Produktivität wurden vielfach ausgezeichnet.
Die Brüder Wright lernten aus der Erfahrung des Streits
Statt ihren Kinder zu sagen, dass man sie sehen, aber nicht hören dürfe, ermutigten sie sie, für sich selbst einzutreten. Die Kinder lernten, auszuteilen – und einzustecken. Genau dies war bei Wilbur und Orville Wright der Fall. Adam Grant erklärt: „Als die Brüder Wright sagten, sie würden gemeinsam denken, meinten sie in Wirklichkeit, sie würden miteinander streiten. Debattieren war in ihrer Familie an der Tagesordnung.“ Obwohl der Vater Bischof der örtlichen Kirche war, hatte er in seiner Bibliothek auch Bücher von Atheisten und ermunterte die Kinder, sie zu lesen und zu diskutieren.
Sie entwickelten den Mut, für ihre Ideen zu kämpfen, und die Widerstandskraft, eine Auseinandersetzung zu verlieren, ohne ihre Entschlossenheit einzubüßen. Adam Grant ergänzt: „Wenn sie ihre Probleme lösten, dauerten die Auseinandersetzungen nicht nur Stunden, sondern Wochen und Monate. Sie hatten nicht ständig Streit, weil sie wütend waren. Sie stritten sich, weil sie es genossen und aus dieser Erfahrung lernten.“ Wilbur sinnierte: „Ich streite mich gern mit Orv.“
Konflikte verleihen unverträglichen Menschen Energie
Solange sich Adam Grant erinnern kann, versucht er stets, den Frieden zu wahren. Vielleicht liegt es daran, dass seine Freunde ihn im Gymnasium fallen ließen. Vielleicht liegt es daran, dass meine Eltern sich scheiden ließen. Was immer der Grund sein mag, in der Psychologie gibt es einen Namen für sein Leiden: Man nennt es Verträglichkeit, und es ist eine der weltweit anerkannten Hauptdimensionen der Persönlichkeit. Verträgliche Menschen sind meist nett. Freundlich. Höflich. Kanadisch.
Adam Grants erster Impuls ist der, selbst die belanglosesten Konflikte zu vermeiden. Wenn Studenten Kursbewertungen vornehmen, ist eine der häufigsten Klagen die, dass er „zu nachsichtig mit dummen Kommentaren ist“. Unverträgliche Menschen sind gewöhnlich kritischer, skeptischer und herausfordernder – und sie werden eher als andere Mitglieder ihrer Peer Group Ingenieure und Anwälte. Sie fühlen sich nicht nur wohl, wenn es Konflikte gibt, es verleiht ihnen Energie. Quelle: „Think Again“ von Adam Grant
Von Hans Klumbies