Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Wesen
Der Mensch ist nicht nur lösungsbegabt, sondern auch an sich vernunftbegabt mit den höchsten kognitiven Fähigkeiten auf dem Planeten Erde. Markus Hengstschläger schränkt ein: „Auch wenn seine enormen Potenziale, logisch zu denken und rational zu reflektieren, den Homo sapiens geradezu auszeichnen, so ist andererseits auch klar, dass gerade sein immer wieder vollkommen irrationales Verhalten viele der Probleme der Menschheit, die es zu lösen gilt, erst verursacht hat.“ Wenn genügend Information zu einem Sachverhalt vorliegt, kann eine detaillierte, komplexe Analyse erfolgen. Das macht dann besonderen Sinn, wenn man etwa die Vergangenheit erklären will oder wenn die Zukunft mehr oder weniger vollständig vorhersehbar ist. In diesem Fall ist es nicht nur wünschenswert, sondern eigentlich auch einzumahnen, reflektierend und rational an die Sache heranzugehen. Professor Markus Hengstschläger ist Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der MedUniWien.
Der Mensch verfügt über zwei kognitive Systeme
Viele, wenn nicht sogar die meisten Menschen, wollen natürlich heute im Anthropozän, dem Zeitalter, in dem der Mensch als der wichtigste Einflussfaktor auf alle Prozesse auf der Erde angesehen wird, im modernen Homo sapiens das rationalste Wesen erkennen. Darum identifiziert sich der Mensch auch viel lieber mit seinem rationalen, regelgeleiteten Selbst, das sein langsames Denken und Handeln bewusst kontrolliert. Viele Neurowissenschaftler und Psychologen haben die Verwendung dieser Beschreibung der Funktionsweise des Gehirnes schon in ihren Alltag übernommen.
Markus Hengstschläger stellt fest: „Diese Unterscheidung zwischen intuitiv-automatischem und reflektierend-rationalem Denken hat spätestens durch den internationalen Bestseller „Schnelles Denken, langsames Denken“ des Kognitionsforschers und Wirtschaftsnobelpreisträgers Daniel Kahnemann Weltbekanntheit erreicht.“ In die Verhaltensökonomie hat diese Beschreibung zweier kognitiver Systeme, dem automatischen System 1 und dem reflektierenden System 2, jedenfalls Einzug gefunden.
Eindrücke und Gefühle entstehen im System 1
System 1 arbeitet intuitiv, automatisch, schnell, weitgehend mühelos, ohne willentliche Steuerung, unbewusst, erlernt, assoziierend und unkontrolliert. System 2 ist reflektierend, rational, langsam, kontrolliert, angestrengt, deduzierend, bewusst und regelgeleitet. System 1 beschreibt das Denken, das als Intuition oder auch als „Bauchgefühl“ bezeichnet werden könnte. System 2 steht für „Nachdenken“. Das System 2, das rationale Denken, wendet man an, wenn man mathematische Aufgaben löst, wenn man das Gedächtnis durchsucht, um ein gewohntes Geräusch zu identifizieren, oder wenn man eine berufliche Entscheidung anhand der Abwägung vieler Daten trifft.
Markus Hengstschläger erläutert: „Auch wenn uns das System 2 das Gefühl von Handlungsmacht, Entscheidungsfreiheit und Konzentration vermittelt, so entstehen die Eindrücke und Gefühle, auf denen diese bewussten Entscheidungen und Überzeugungen beruhen, im System 1.“ Man muss sich immer wieder bewusst machen, dass das menschliche Denken auf einer gemeinsamen, viele Millionen Jahre andauernden Stammesgeschichte mit anderen Arten beruht. Quelle: „Die Lösungsbegabung“ von Markus Hengstschläger
Von Hans Klumbies