Massenmörder ist heutzutage eine Karriere geworden
„Sinnlose“ Massenmorde gehören zu den großen Gesten in den Konsumgesellschaften des 21. Jahrhunderts. Wolfgang Schmidbauer stellt fest: „Sie werden zunehmen und uns bedrohen, bis wir ein wirksames Gegenmittel finden.“ Die meisten gewissenhaften Selbstbeobachter werden zugeben, dass ihnen Mordimpulse nicht gänzlich fremd sind. Massenmörder ist heutzutage eine Karriere geworden. Die meisten Täter schaffen sich durch die Tat aus der physischen Welt, hoffen aber auf unsterblichen Ruhm. Diese Formen des Massenmords sind wie eine Seuche. Sie breitet sich aus. Wenn wir eine Kurve der Zahlen von Tätern und Opfern zeichnen könnten, sie würde steil ansteigen. Wo die Suche nach den Wurzeln der Tat etwas tiefer graben kann, entdeckt sie den Zusammenprall von Krisen des Selbstwertgefühls mit dem als erlösend und ruhmreich imaginierten Endpunkt des Massenmordes.
Unter Depressiven ist der Neid auf das Glück der anderen weit verbreitet
Wolfgang Schmidbauer erklärt: „Psychologisch gesehen, geht es um eine manische Abwehr einer drohenden Depression durch Rache an möglichst vielen, die sich nicht so sehr mit der Realität quälen wie die Täter.“ Das vorherrschende Gefühl in der Konsumgesellschaft, das sich immer schlechter kanalisieren lässt, ist der Neid auf die Glücklichen. Sie kränken und gekränkt werden nehmen rapide zu, je intensiver Bildschirme eine heile Welt voller schöner Menschen vorgaukeln, die attraktiv sind und attraktive Dinge tun.
Das Gesicht der Depression unter jungen Menschen hat sich verändert. Es wirkt inzwischen fast absurd, wenn in den Lehrbüchern der klinischen Psychologie noch steht, die allein gegen das eigene Ich gerichtete Aggression sei die wichtigste Dynamik in diesem seelischen Leiden. Inzwischen ist auch der Neid auf das Glück und Beliebtheit der anderen unter den Depressiven verbreitet. Ihr Leid nähert sich schon der Wut, dass die anderen, die glücklich sind, das nur deshalb sein können, weil sie ihnen dieses Glück wegegenommen haben.
Für Massenmörder gibt es in der Welt keine Zukunft
So gesehen hängt der heimliche Neid auf die Glücklichen und beliebten eng mit dem von Terroristen geäußerten Wunsch zusammen, eine feiernde Welt, die sie und ihr Leid ignoriert, aus dieser Feierstimmung zu reißen, koste es, was es wolle. Wer eine Pistole in der Hand hält, ist Herr über Leben und Tod. Diese Verführung zu beherrschen, gelingt den meisten Männern und Frauen. Aber eben nicht allen. Wolfgang Schmidbauer erläutert: „Mehr als an anderen Orten der Gesellschaft sind die jungen Massenmörder, die den Tod ebenso bereiten wie suchen, ein Zeichen für die Macht der Dinge über die Menschen.“
Die menschliche Erfindungskraft hat Dinge gezeugt, welche seelische Reife blockieren und ganze Generationen verführbar machen für den schnellsten Weg aus allen Ängsten. Inzwischen wird immer deutlicher, dass der Massenmord eine bedeutungsvolle Geste von Menschen ist, die keine andere Perspektive sehen als durch ihre Tat zu sagen: „Eure Welt ist ohne Zukunft für mich, ich finde keinen Platz in ihr. Das macht mich so wütend, dass ich möglichst viele von euch töten will, ehe ich selbst draufgehe.“ Quelle: Süddeutsche Zeitung
Von Hans Klumbies