Die Persönlichkeit kann sich verändern
Lange Jahre wurde in der psychologischen Forschung angenommen, dass Menschen eine stabile Persönlichkeit haben, die nahezu unverändert ist. Michaela Brohm-Badry betont: „Heute wissen wir aus zahlreichen Forschungsbefunden, dass das so nicht stimmt.“ Beispielsweise fand ein Forscherteam der Universität Michigan State in einer aktuellen Studie heraus, dass Kinder sich gegenseitig in ihren Persönlichkeitseigenschaften anstecken, wenn sie im frühen Alter viel Zeit miteinander verbringen. Sie entwickeln und übernehmen dabei Charaktereigenschaften des anderen Kindes. So zeigen auch Forschungen an Ehepaaren, dass sich Charaktereigenschaften und auch die Intelligenz im Laufe der Jahre angleichen. Ein Beleg mehr, dass das Ich auch durch die Umgebung geprägt wird und nicht nur genetisch festgelegt ist. Prof. Dr. Michaela Brohm-Badry ist Professorin für Lernforschung. Sie war langjährige Dekanin des Fachbereichs Erziehungs- und Bildungswissenschaften, Philosophie und Psychologie an der Universität Trier.
Die Gene und die Umwelten verändern sich
Die Psychotherapieforschung zeigt das ebenso: Die ehemaligen Patienten sind nach der Therapie extrovertierter und weit weniger neurotisch als vorher. Michaela Brohm-Badry erläutert: „Wir wissen also, dass Teile der Persönlichkeit lebenslang veränderbar bleiben. Die Persönlichkeit eines Menschen ist nicht von Geburt an festgelegt. Die Persönlichkeit eines Menschen ist nicht statisch.“ Doch wie viel ist angeboren, wie hoch ist der veränderliche Anteil genau?
Die Forschung geht heute nicht mehr davon aus, dass Anlage und Umwelt Gegensätze sind – das eine ist stabil in den Genen, das andere veränderbar. Michaela Brohm-Badry ergänzt: „Von Anlage wird oft gar nicht mehr gesprochen, weil der Begriff zu ungenau ist, denn Gene verändern sich und Umwelten verändern sich und beide beeinflussen sich im Laufe des Lebens gegenseitig.“ Sie stehen also in Wechselwirkung über die Zeit, da genetische Unterschiede Einfluss auf die Umwelt und Umweltunterschiede Einfluss auf die Genaktivität nehmen können.
Das Erbgut kommuniziert mit der Umwelt
Die Epigenetik untersucht die beeinflussenden Faktoren bezüglich der Aktivität eines Gens. Dabei wurde herausgefunden, dass sich genetische Codes im Laufe eines Lebens durch Umwelteinflüsse ändern können. Michaela Brohm-Badry erklärt: „Zum einen sind da die zufälligen, genetischen Mutationen, die bereits direkt nach der Teilung der Eizelle im Körper beginnen. Zum anderen aber finden sich Änderungen im genetischen Code durch diejenigen chemischen Prozesse, die durch die Umwelt stimuliert werden.“
Ernährung, Gewohnheiten, Stress, sportliche Aktivität und geistige Herausforderungen sowie Erlebnisse können ihre Spuren im genetischen Code hinterlassen. Michaela Brohm-Badry nennt Beispiele: „Eindrucksvoll sind auch die Befunde der Krebsforschung oder von traumatisierten Eltern, die ihre Angstneigung an die Kinder weitervererben. Oder von Kindern, die mangelhafte Elternliebe erfahren und diese frühe Trauma in ihren genetischen Code einbauen.“ Das Epigenom, also die Veränderung der Gene, „ist die Sprache, in der das Erbgut mit der Umwelt kommuniziert“, sagte einst der US-amerikanische Epigenetiker Rudolf Jaenisch. Quelle: „Aufbrechen“ von Michaela Brohm-Badry
Von Hans Klumbies