Ohne Aufklärung gibt es keinen freien Willen
Nur ein kleiner Teil dessen, was die Wahrnehmung des Menschen erreicht, findet auch Eingang in das Bewusstsein. Allerdings hindert dies die zahlreichen nicht bewusst registrierten Wahrnehmungen nicht daran, in uns eine Wirkung zu entfalten. Vom Bewusstsein nicht aufgenommene Signale können das Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen. Joachim Bauer betont: „Die Annahme, die Existenz des Unbewussten bedeute per se die Außerkraftsetzung unseres freien Willens, halte ich jedoch für unbegründet, eine Sichtweise, die auch von anderen Neurowissenschaftlern geteilt wird.“ Das Unbewusste ist ein Teil der Person, deren übergeordneten Interessen es zuarbeitet. Es erspart den Menschen, alle kognitiven Verarbeitungsprozesse über die manchmal anstrengende und zeitaufwendige Schiene des bewussten Denkens laufen lassen zu müssen. Der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer lehrt an der Universität Freiburg.
Das Unbewusste verfügt über eine eigene Art von Intelligenz
Das Unbewusste ist beeinfluss- und manipulierbar, allerdings nicht beliebig. Es hat, wie das Bewusstsein auch, Zugang zu großen Teilen der Erfahrungen und Wissens eines Menschen. Es verfügt, wie sich an seinen Einfällen und manchen Träumen zeigt, über eine eigene Art von Intelligenz. „Wo Es war, soll Ich werden“, dieses Wort Sigmund Freuds beschreibt nicht nur einen Aspekt des psychotherapeutischen Prozesses. Es beschreibt auch den Anspruch der Aufklärung. Das mit ihr verbundene Projekt hat das Ziel alle natürlichen Phänomene durch Erkennen und Verstehen rational zugänglich und, soweit wie möglich, beherrschbar zu machen.
Man bedarf keiner psychologischen Spezialkenntnisse, um zu wissen, dass das Denken, Fühlen und Handeln eines Menschen durch äußere Einflüsse veränderbar ist, wie sich bereits leicht an den Wirkungen erkennen lässt, die das Wetter auf die Laune vieler Menschen ausübt. Macht man diesen Zusammenhang in einer gegebenen Situation einem Menschen allerdings bewusst, löst sich die Wirkung des Wetters auf die Stimmung in der Regel sofort auf. Dieses einfache Beispiel demonstriert ein allgemeines Prinzip, nämlich die bevorzugt unbewusste Wirkungsweise des sogenannten Primings.
Unwissenheit bedeutet Manipulierbarkeit
Joachim Bauer erläutert: „Der Begriff beschreibt die Tatsache, dass Worte, Bilder oder Szenen bei Menschen zu einer inneren Voraktivierung führen, die seine nachfolgenden Verhaltensweisen beeinflussen. Dies lässt sich für die gezielte, unmerkliche Beeinflussung anderer nutzen und damit zu einer Unterwanderung von deren freien Willen missbrauchen.“ Klar ist auch: Unwissenheit bedeutet Manipulierbarkeit, ohne Aufklärung kein freier Wille. Eine Variante des Priming-Effekts sind Wirkungen, die vom menschlichen Körper ausgehende Signale auf das Erleben und Verhalten entfalten – und umgekehrt.
Personen, die beispielsweise eine warme Tasse Kaffee in der Hand halten, schätzen andere Menschen als warmherziger und freundlicher ein. Wer sich dagegen an einem Eistee erfrischt, verhält sich dem entgegengesetzt. Priming-Effekte können auch auf die Biologie des Körpers eines Menschen durchschlagen. Personen, die gebeten wurden, Körperhaltungen einzunehmen, die Macht ausstrahlen, zeigen bei anschließenden Entscheidungen nicht nur mehr Selbstvertrauen, sie reagieren zudem mit einem Testosteronanstieg. Quelle: „Selbststeuerung“ von Joachim Bauer
Von Hans Klumbies