Persönlichkeit ist ein sehr komplexer Begriff
Kränkung und Gekränktheit hängen, die betont Reinhard Haller, nie von der Persönlichkeit allein ab. Auch gibt es nicht die kränkende Charakterstruktur schlechthin, ebenso wenig wie es die idealtypische Persönlichkeit des Gekränkten gibt. Reinhard Haller erläutert: „Persönlichkeit ist ein sehr komplexer Begriff, der in der Alltagssprache nicht nur psychologische, sondern auch ethische Bestandteile beinhaltet.“ So spricht man von einer großen und starken Persönlichkeit oder einem miesen und asozialen Charakter. Nach dem psychologischen Verständnis bedeutet Persönlichkeit die Summe aller psychischen Eigenschaften und Verhaltensbereitschaften, die dem Einzelnen seine unverwechselbare Individualität verleihen. Persönlichkeit wird bestimmt durch fixierte Organisationszüge einer Person hinsichtlich Charakter, Temperament, Intellekt und körperlicher Ausstattung. Der Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller arbeitet vornehmlich als Therapeut, Sachverständiger und Vortragender.
Persönlichkeitsstörungen sind keine Krankheiten
Mit Charakter meint man die mehr oder weniger stabile und überdauernde Systematisierung des strebenden Verhaltens. Er umfasst also auch die moralisch-ethische Einstellung, die Wertehaltung, die Bindung an Normen und Gewissen sowie alle daraus resultierenden Verhaltensdispositionen. Das Temperament bezieht sich auf die Emotionalität und das affektive Verhalten, auf die vitale Aktivität und den Antrieb. Und mit Intellekt bezeichnet man im wissenschaftlichen Verständnis das mehr oder weniger stabile, überdauernde System kognitiven Verhaltens.
Störungen der Persönlichkeit sind laut Reinhard Haller keine Krankheiten, sondern Verschärfungen verschiedener Eigenschaften des Charakters. Misstrauen statt Vorsicht, Geiz statt Sparsamkeit, emotionale Instabilität statt schlechter Laune wären solche Zuspitzungen. Genau genommen sind Persönlichkeitsstörungen extreme Varianten menschlicher Besonderheit und Vielfalt. Spezifische Störungen der Persönlichkeit kann man anhand der Merkmale „kränkend“ und „kränkbar“ bilden. Richtet man das Wesen und das Verhalten einer Person auf die beiden Kränkungspole aus, ergeben sich folgende Gruppen.
Narzissten kränken maximal und sind selbst extrem empfindlich
Persönlichkeiten, die andere Menschen in maximaler Form kränken und dabei selbst extrem empfindlich sind, gehören zur Gruppe der Narzissten. Verhält sich jemand rücksichtslos und verletzend und ist dabei selbst in keiner Weise empfindlich, spricht man von einer psychopathischen Charakterstruktur. Wenn jemand selbst sehr leicht zu kränken ist, diese Sensibilität aber auch im Umgang mit anderen wahrt, handelt es sich um hochsensible oder überempfindliche Menschen.
Passiv-aggressive Persönlichkeiten sind verhaltend kränkend und, oft wenig spürbar, ebenso verletzlich. Hingegen werden ängstlich-vermeidende Persönlichkeiten andere kaum kränken, sind selbst im Gegensatz dazu jedoch äußerst verletzbar. Schließlich gibt es das Störungsbild des Autismus, bei dem weder andere gekränkt werden noch eigene Kränkbarkeit erkennbar ist, zumindest äußerlich. Ob autistische Menschen trotz der nach außen hin fehlenden affektiven Resonanz im Inneren nicht doch sehr empfindsam und damit kränkbar sind, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Quelle: „Die Macht der Kränkung“ von Reinhard Haller
Von Hans Klumbies