Die Aggression ist eine Urkraft
Der wichtigste Antrieb des Hasses, gleichsam sein Motor, ist die Aggression. Reinhard Haller weiß: „Diese dem Angriff oder der Verteidigung dienende Verhaltensweise ist ein in Mensch und Tier biologisch tief verankertes Verhaltensmuster.“ Aggressives Verhalten ist abhängig von genetischen und zerebralen Faktoren, von der Wirkung der Hormone und Neurotransmitter, von psychischen Zuständen und kognitiven, also verstandesmäßigen Motiven. Aber auch stammes- und kulturgeschichtliche oder gruppensoziologische Aspekte sowie persönliche Erfahrungen und Einstellungen sind bedeutend. Aggression entsteht als Reaktion auf Frustrationen und physikalische oder psychosoziale Unterdrückung und wird durch entsprechende Reize und Situationen ausgelöst. Die Aggression ist eine Urkraft aller tierischen Lebewesen, ohne sie wären weder Überleben noch Entwicklung oder Fortschritt möglich. Prof. Dr. med. Reinhard Haller war als Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe über viele Jahre Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Heute führt er eine fachärztliche Praxis in Feldkirch (Österreich).
Psychosomatische Erkrankungen sind falsch verarbeitete Aggressivität
Die entscheidende Aufgabe in der persönlichen Entwicklung und Reifung, in der Erziehung und der gesellschaftlichen Kultivierung liegt in der „Domestizierung“ dieser enormen Macht. Reinhard Haller fügt hinzu: „In der psychodynamischen Denkweise wird die Aggression verglichen mit einem permanent dahindonnernden Wildbach, den es einzudämmen und wirtschaftlich zu nutzen gilt.“ Im psychischen Bereich können die aggressiven Kräfte durch wirtschaftlichen Wettbewerb, beruflichen Karrierestreit, sportlichen Wettkampf oder durch kulturelle Leistungen sublimiert, das heißt fruchtbar gemacht werden.
Gelingt dies nicht, entsteht ein erheblicher Stau von noch ungerichteter Aggression. Diese kann sich explosionsartig entladen, zum Beispiel in Ausbrüchen von Jähzorn oder Wut. Wenn sie nicht abgebaut wird, kann sie chronische psychische Leiden verursachen. Reinhard Haller stellt fest: „Psychosomatische Erkrankungen sind nichts anderes als negative Energie, also falsch verarbeitete Aggressivität, die sich an jenem Organ festmacht, das Symbol eines Konflikts ist.“
Sehr häufig sind verbale Aggressionsformen
So sind depressive Störungen oft mit Rückenschmerzen verbunden, weil die Wirbelsäule symbolisch für das schmerzhafte Tragen einer Sorge oder psychischen Last steht. Reinhard Haller nennt weitere Beispiele: „Bei Angstzuständen oder wirtschaftlichen Nöten sind häufig Beschwerden am Herzen zu finden, dem Organ der Existenz. Suchtmittel werden häufig eingesetzt, um die aggressionsgetriebene innere Unruhe in einer Art falschen „Selbstheilung“ zu mildern.“
Aggressionen können sich in physischer Form äußern, etwa durch Bedrohen, Verletzen oder Töten eines anderen Lebewesens, auch durch Sachbeschädigung wie beim Vandalismus. Viel häufiger sind aber verbale Aggressionsformen wie Beleidigen, Verspotten, Beschimpfen oder heutzutage sehr häufig Zynismus und Sarkasmus. In verdeckter Form kann sich die Aggression im toxischen Schweigen und in der Fantasie abspielen, durch Virtualisierung wird sie in das große Netz verlegt. Klassische soziale Aggressionen sind Mobbing und Ausgrenzung. Hier können physische, verbale und verdeckte Aggressionen eingesetzt werden. Quelle: „Eine dunkle Leidenschaft“ von Reinhard Haller
Von Hans Klumbies