Hass setzt zerstörerische Energien frei
Hass wird als Aggressionsaffekt, als zerstörerische Energie, als böse Emotion oder rabenschwarze Leidenschaft bezeichnet. Aber ist er auch eine Krankheit, eine psychische Störung, ein seelisches Leiden? Reinhard Haller weiß: „Die Psychologie gibt darauf eher spärliche Antworten, hat aber einige Konzepte zur Entstehung und Entwicklung des Hasses erarbeitet und liefert verschiedene Modelle zum Verständnis des „normalen“ Hasses.“ Zunächst sehen die psychologischen Wissenschaftler im Hass eine aggressive Emotion. Schon das „Universal-Lexicon“ von 1732 zählt Hass zu den „unangenehmen Emotionen, die die Gefühlsruhe stören und zerstörerische Energien freisetzen“. Später hat sich die Forschung vor allem auf den triebhaften Aspekt des Hasses konzentriert. Sigmund Freud (1856 – 1939), der mit der Psychoanalyse die maßgebende Theorie über Entstehung und Auswirkungen unbewusster psychischer Prozesse entwickelte, sieht im Hass einen nach außen gerichteten Teil des dem Leben entgegengesetzten Todestriebes. Der Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller arbeitet vornehmlich als Therapeut, Sachverständiger und Vortragender.
Hass ist ein „Trieb zur Grausamkeit“
Dieser Todestrieb strebe ständig nach Vernichtung des Lebendigen, nach Rückführung des Vitalen in einen anorganischen und unbelebten Zustand, nach Erstarrung und Tod. In der psychotherapeutischen Praxis kommt es selten vor, dass Patienten wegen eigener Hassprobleme zur Behandlung kommen. Das Hass wohl die konzentrierteste Ausdrucksweise des überhandnehmenden Todestriebs darstelle, sprach Sigmund Freud in treffender Weise von einem „Trieb zur Grausamkeit“.
Dieser Interpretation schlossen sich spätere Psychoanalytiker an. So schreibt der marxistische Literaturtheoretiker Terry Eagleton, der als einer der führenden Intellektuellen Großbritanniens zählt, in seinem Buch „Das Böse“ (2011) von einem nach außen gewandten Todestrieb, welcher „seinen unversöhnlichen Hass an einem Mitmenschen auslässt. Doch dieser wütenden Gewalttätigkeit wohnt ein Mangel inne – das unerträgliche Gefühl des Nichtseins, das an dem anderen gewissermaßen abreagiert werden muss.“
Hass bezieht sich auf eine vorhergehende Demütigung
Reinhard Haller fasst zusammen: „Hass ist also, so die mehr oder weniger einheitliche Interpretation, eine auf Grausamkeit und Zerstörung ausgerichtete Leidenschaft, ein Trieb zum Tod.“ Eine bereits ganzheitliche Analyse liefert der Münchner Individualpsychologe Prof. Karlheinz Witte. Er interpretiert den Hass, dessen wichtigste Ursachen in Kränkung und Demütigung liege, als Gefühlskomplex und stellt folgende Merkmale in den Mittelpunkt: Dem Hass liegt eine Demütigung zugrunde; Menschen die hassen, sind nicht nur gekränkt oder frustriert, sondern gequält worden.
Der Hass ist nicht nur ein jäh aufflammender Affekt wie die Wut, sondern ein andauernder, inhaltlich analysierbarer Gefühlskomplex. Da sich der Hass auf eine vorhergehende Demütigung bezieht, kennt er weder Skrupel noch Reue, sondern allenfalls Furcht vor selbstschädigenden Folgen, die der Hassende aber unter Umständen auch in Kauf nimmt. Der Hass richtet sich grundsätzlich nicht gegen einen Unterlegenden, sondern bekämpft eine Übermacht. Quelle: „Die dunkle Leidenschaft“ von Reinhard Haller
Von Hans Klumbies