Konflikte sollte man nicht totschweigen
Die meisten Menschen wollen nicht verletzen und wollen auch nicht verletzt werden. Daraus resultiert eine gewisse Schwellenangst. Reinhard K. Sprenger erklärt: „Im Regelfall müssen wir erst einen langen Anlauf nehmen, bevor wir einen Konflikt ansprechen. Aber: Wer Streit vermeidet, erntet noch lange nicht Frieden.“ Im Gegenteil: Er verlagert den Streit nach innen. Er lässt die Konfliktlinie nicht da, wo sie hingehört: zwischen den Kontrahenten. Sondern zieht sie in sich hinein, ohne dass der andere sich dessen bewusst ist. Über kurz oder lang resultiert das in einer Implosion, zuweilen auch in einem eruptiven Akt. Verbreitet ist heutzutage auch das Blockdenken. Dabei handelt es sich um eine Sonderform des Tabus. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.
Elisabeth Noelle-Neumann prägt den Begriff der „Schweigespirale“
Die digitalen Medien fördern die Lagerbildung nach dem Muster „0/1“, „Ja/Nein“, „Like/Dislike“. Dadurch entstehen Unterkollektive, die sich erkennen und abgrenzen, als Eigene und Fremde. Reinhard K. Sprenger stellt fest: „Im Unternehmen wird häufig unterschieden zwischen good guys und bad guys – und wir sind die Guten. Deshalb tut man jemandem aus dem eigenen Lager nicht weh, da mag er noch so viel Blödsinn reden.“ Haut aber umso mehr drauf bei jemandem aus dem anderen Lager, ohne dessen Argument zu prüfen.
Das hat gesellschaftlich weitreichende Folgen, sei es zwischen politischen Parteien, sozialen Gruppen oder Länderbünden. Die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann setzte in den 70ern den Begriff der „Schweigespirale“ in die Welt. Damit beschrieb sie die Bereitschaft der Menschen, sich öffentlich zu ihrer Meinung zu bekennen. Diese Bereitwilligkeit hänge von der Einschätzung des umgebenden Meinungsklimas ab. Um nicht isoliert zu werden, bestehe die Tendenz, sich mit dieser allgemeinen Gesamtheit zu harmonisieren – obwohl man die Dinge vielleicht völlig anders sieht und bewertet.
Alternativlose Lösungen gibt es nicht
Reinhard K. Sprenger erläutert: „Man schweigt, weil man den „lieben Frieden“ nicht stören will, der Meinungstrend in eine andere Richtung geht oder der Chef an seinem Durchsetzungswillen keinen Zweifel lässt.“ Heute hat der Begriff der politischen Korrektheit Teile dieses Phänomens übernommen. Als Beispiel nennt Reinhard K. Sprenger das Schweigen großer Bevölkerungsteile zum „moralisch“ aufgerüsteten Themen wie Öko-, Flüchtlings- oder Gleichstellungspolitik.
Und wenn das Schweigen doch gebrochen wird, dann nur unter Vorbehalt: „Darf man das noch sagen?“ Der Begriff der „Lösungsfixierung“ bedeutet folgendes: Noch bevor über den Konflikt selbst gesprochen wird, steht die „einzig mögliche Lösung“ bereits fest. Sie ist „alternativlos“. Entsprechend selektiv wird das Gespräch geführt. Man lässt überhaupt nur Argumente zu, welche die fixierte Lösung stützen. Alle Augen richten sich auf das Minenspiel des Höchstrangigen, um zu sehen, welche Lösung vorentschieden ist. Quelle: „Magie des Konflikts“ von Reinhard K. Sprenger
Von Hans Klumbies