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Im Krieg tritt das Primitive hervor

Die Realität des Krieges kennt Sigmund Freud, wie er selbst einräumt, nur als Beobachter aus der Ferne. Noch gibt es keine traumatisierten Kriegsrückkehrer, die sich auf seine Couch legen, und so bemerkt er: „Es wäre gewiss sehr interessant, die Veränderungen in der Psychologie der Kämpfer zu studieren, aber ich weiß zu wenig darüber.“ Was für ein Fundus wäre, so lässt sich aus heutiger Sicht sagen, Ernst Jünger für Sigmund Freud gewesen. Svenja Flaßpöhler ergänzt: „Und wie sehr hätte der Begründer der Psychoanalyse seine Hypothesen über das Unbewusste durch jenen Mann, der zu den Kriegsbegeistertsten und auch, nach damaligen Kategorien, Heldenhaftesten seiner Zeit zählte, bestätigt gefunden.“ Während Sigmund Freud in Wien versucht, den „Wirbel dieser Kriegszeit“ zu verstehen, macht Ernst Jünger Erfahrungen als Soldat, die er in Tagebüchern festhält. Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und Chefredakteurin des „Philosophie Magazin“.

Das Primitive mildert den Schock des Krieges ab

Aus den Aufzeichnungen hervor geht unter anderem Ernst Jüngers erfolgreichsten Buch „In Stahlgewittern“, dessen Handlung zu Beginn des Jahres 1915 einsetzt. Svenja Flaßpöhler erläutert: „Jünger hat mit seiner Kompanie gerade die Champagne erreicht, untergebracht sind die Männer in der Schule des kleines Ortes Orainville. Noch hat der junge Mann keinen wirklichen Kontakt mit dem Krieg gehabt, doch das soll sich an diesem, wie der Autor schreibt, „ersten Kriegstag“ ändern.“

Bei seinen Schilderungen wird anschaulich, was Sigmund Freud theoretisch beschreibt: Hervor tritt das Primitive, das den Schock abmildert, in Fall von Ernst Jünger gar zu Faszination verwandelt. Svenja Flaßpöhler fügt hinzu: „Der unmittelbare Anblick des Grauens wirft ihn auf eine primitive Vorzeit zurück, wobei dieser Zustand es ihm ermöglicht, nicht nur standzuhalten, sondern genau diese Erfahrung fortan zu suchen, nicht zuletzt der existenziellen Intensität willen.“

Der Einsatz seines Lebens hat für Ernst Jünger einen hohen Reiz

Ernst Jünger hält in seinem Tagebuch fest: „Mir macht das Kriegsleben jetzt grade den richtigen Spaß, das ständige Spiel mit dem Leben als Einsatz hat einen hohen Reiz. Man lebt, man erlebt, man gelangt zu Ruhm und Ehren – das alles nur um den Einsatz eines armseligen Lebens.“ 1920, zwei Jahre nach Kriegsende, erscheint Ernst Jüngers Buch „Kampf als inneres Erlebnis“, und hier zeigt sich deutlich, wie sehr sich sein eigener Versuch der Reflexion mit derjenigen Sigmund Freuds berührt.

Der Krieg so Ernst Jünger, sei etwas Ewiges, Urzeitliches, das alle Menschen tief in sich tragen. In seinem Buch schwingt nicht nur Sigmund Freud, sondern auch der Philosoph Arthur Schopenhauer mit, dessen Metaphysik die Psychoanalyse tief beeinflusst hat. Svenja Flaßpöhler erklärt: „Der „Wille“ ist nach Schopenhauer der Urgrund menschlichen Handelns und der weltlichen Erscheinungen, ein reiner, unbewusster Lebensdrang, der alles durchwirkt und den Tod verachtet.“ Quelle: „Sensibel“ von Svenja Flaßpöhler

Von Hans Klumbies

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