Tali Sharot erklärt die Theory of Mind
Das menschliche Gehirn ist so eingerichtet, das es automatisch von anderen Menschen lernt. Tali Sharon erklärt: „Vom Tag unserer Geburt sind wir damit beschäftigt nachzuahmen, wir bewerten automatisch permanent die Ergebnisse fremder Entscheidungen, unsere Erinnerungen verändern sich so, dass sie sich denen anderer anpassen, und unsere Neuronen reagieren auf Fehlschläge und Erfolge aller Menschen um uns herum. Es gibt noch ein weiteres trickreiches System, dessen sich unser Gehirn dafür bedient – die Theory of Mind oder Naive Theorie.“ Das Prinzip der Theory of Mind ist die Fähigkeit des Menschen, darüber nachzudenken, was andere Menschen denken. Tali Sharot wurde an der New York University in Psychologie und Neurowissenschaften promoviert und ist Professorin am Institut für experimentelle Psychologie der University of London.
Die Theory of Mind hilft das Verhalten anderer vorherzusehen
Die Menschen scheinen die einzigen Spezies der Erde zu sein, die das kann. Sie denken unablässig darüber nach, was ihr Kunde, Patient, Angestellter, Chef oder Geliebter denkt, und stellen ihr Verhalten darauf ein. Auch wenn die Theory of Mind höchst nützlich ist – sie hilft den Menschen miteinander in Verbindung zu treten und vorherzusehen, was andere Individuen als nächstes tun werden –, so ist der menschliche Geist als Apparat des Schlussfolgerns doch nicht unfehlbar, und daher gelangt man unausweichlich hin und wieder zu falschen Schlüssen.
Die Folgen von falschen Annahmen können sehr weitreichend sein. Als Beispiel nennt Tali Sharot die ökonomische Blase, die im Jahr 2008 platzte. Spekulationsblasen entstehen, wenn große Mengen an Aktien und anderen Wertpapieren zu unrealistischen Preisen gehandelt werden. Es gibt viele Gründe dafür, dass solche Blasen entstehen können, aber es sieht ganz so aus, als würden sie nicht existieren, wenn es keine Theory of Mind geben würde. Die Entscheidung, auf eine Blase aufzuspringen, fällt, wenn ein Börsenhändler glaubt, andere Leute hätten positive Informationen über den Markt.
Der unverwechselbare eigene Stil ist wertvoll
Der Händler grübelt darüber nach, was die anderen antreibt und kommt zu dem Schluss, dass es einen logischen Grund für den Anstieg der Kurse geben muss. Also beschließt er, zu überhöhten Preisen doch zu kaufen. Folgende Lehren lassen sich laut Tali Sharon aus alledem ziehen: „Wir müssen sehr genau aufpassen, wenn wir anderer Leute Handeln und Entscheidungen zum Leitfaden unserer eigenen Handlungen machen.“ Sehr oft erfolgt Beeinflussung unterschwellig, und man kann nur hoffen, sensibler für alles zu werden, was damit zusammenhängt.
Außerdem sollte man sehr darauf achten, dass man seinen unverwechselbaren eigenen Stil nicht gedankenlos gegen den anderer Menschen eintauscht. Denn auch ein Einzelner kann mit seiner eigenen Meinung durchaus etwas bewirken. Selbst in einem „Schwarm“ kann eine einzige abweichende Stimme andere dazu bringen, unabhängig zu handeln. Das Handeln und die Entscheidungen eines Menschen haben also nicht nur für das eigene Leben Bedeutung, sondern auch für das Verhalten aller anderer im persönlichen Umkreis. Quelle: „Die Meinung der anderen“ von Tali Sharot
Von Hans Klumbies