Theodor W. Adorno erforscht den autoritären Charakter
Während seines Exils in Kalifornien betrieb Theodor W. Adorno 1943 empirische Studien zum autoritären Charakter. Philipp Hübl weiß: „Dabei hatte er den typischen deutschen Nationalsozialisten genau vor Augen. Da Faschisten ihre Gesinnung normalerweise ihrer Umgebung verhehlen, fragte Adorno sich, ob man sie auch über indirekte Hinweise verlässlich erkennen kann.“ Inspiriert war er durch die Vorarbeiten von Erich Fromm und durch Sigmund Freuds Studien zum „Analcharakter“. Sigmund Freud beschrieb damit einen Typen, der durch strenge Erziehung „ordentlich, sparsam und eigensinnig“ ist und zur Pedanterie und übermäßiger Reinlichkeit neigt. Diese Merkmalliste hat Theodor W. Adorno erweitert. Der autoritäre Charakter denkt seiner Meinung nach konventionell und ordnet sich den Autoritäten in der Gruppe unter. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).
Rechtsradikale misstrauen der Demokratie
Außerdem verhält sich der autoritäre Charakter aggressiv gegenüber Regelbrechern und verachtet sowohl Phantasie als auch Kreativität. Zudem glaubt er an das Schicksal, will Stärke beweisen und Schwache dominieren, hält die Welt für bedrohlich und lehnt ausschweifende Sexualpraktiken ab. Dem autoritären Typ hat Theodor W. Adorno einen demokratischen Typ gegenübergestellt, der liberal und kosmopolitisch ist und sich für Kunst und Literatur interessiert.
Aktuelle empirische Studien belegen, dass Rechtsradikale typischerweise der Demokratie misstrauen. Sie sind nationalistisch eingestellt, lehnen die Europäische Union (EU) ab, halten Gewalt für ein probates Mittel gegen Fremde und bevorzugen eine harte Linie bei „Recht und Ordnung“. Die Liste beschreibt laut Phillip Hübl sicherlich den rechten Rand in Deutschland sehr treffend. Doch schon wie bei Theodor W. Adorno fragt man sich, wie diese Merkmale zusammenhängen. Warum verachten Rechtsradikale beispielsweise sowohl Ausländer als auch homosexuelle Landsleute?
Der autoritäre Typ ist menschenfeindlich gesinnt
Der autoritäre Typ, um des es Theodor W. Adorno ging, hat der aktuellen Forschung zufolge zwei Eigenschaften: Ihm ist Hierarchie wichtig, und er hat eine menschenfeindliche Gesinnung. Philipp Hübl ergänzt: „Die Vorliebe für starre Hierarchien entspricht der Extremform des Prinzips Autorität und heißt rechtsradikaler Autoritarismus.“ Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit hingegen entspricht der Extremform des Prinzips Loyalität und heißt sozialdominante Orientierung.
Große Untersuchungen der letzten Jahre legen allerdings nahe, dass das Attribut „rechtsradikal“ besser zum sozialen Dominanzdenken passt, also zur Menschenfeindlichkeit. Eine Vorliebe für Autorität allein, die man in vielen politischen Strömungen findet, macht Menschen nicht rechtsradikal. Denn dafür ist die menschenfeindliche Vorstellung, es gäbe „minderwertige“ Gruppen, ausschlaggebend. Auch in ihrer Extremform sind die Prinzipien Autorität und Loyalität stark korreliert. Sie tauchen also bei vielen Menschen zusammen auf, weshalb Theodor W. Adorno sie für Untermerkmale des „autoritären Charakters“ gehalten hat. Quelle: „Die aufgeregte Gesellschaft“ von Philipp Hübl
Von Hans Klumbies